Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
Stella folgte dem Frettchen durch mehrere Gassen.
    Die Häuser in Masinof waren nach strengen geometrischen Mustern geformt. Hier gab es Kuben, Kugeln und Kegel, Quader, Pyramiden und Zylinder. Fachwerk schien wenig beliebt zu sein, dafür umso mehr Metall und andere kühl wirkende Baustoffe.
    »Hier ist es«, sagte das Frettchen nach einiger Zeit.
    »Ich sehe nichts.« Stellas Augen studierten eine Hauswand, die ihr Sesa Mina gezeigt hatte. Aber sie konnte keinen Tunnel oder irgendeinen anderen Durchlass entdecken. Das dazugehörige Gebäude befand sich unmittelbar an der Mauer des verbotenen Bezirks. Es unterschied sich von anderen Bauwerken durch seine – gemessen an hiesigen Verhältnissen – altertümliche Architektur. Riesige unregelmäßig zugehauene Steine waren hier, mit schwarzem Mörtel verbunden, zu ansehnlicher Höhe getürmt. Erst weit oben konnte Stella kleine weiße Sprossenfenster erkennen, darüber dann ein rotes Ziegeldach.
    »Du musst genau hinsehen«, drängte Sesa Mina. »Da, links von dir.«
    Noch einmal ließ Stella ihren Blick forschend über die verschiedenfarbigen Steinbrocken schweifen. Die Wand wirkte solide wie ein Granitblock. »Tut mir Leid, ich kann keinen Tunneleingang entdecken.«
    »Na, dann eben nicht«, antwortete Sesa Mina schnippisch. »Komm einfach hinter mir her.«
    Unter den staunenden Augen Stellas tippelte das Frettchen nun auf die Hauswand zu. Es nahm einfach Kurs auf einen großen dunklen Stein, dessen Umriss an eine Schildkröte erinnerte.
    Wenn Sesa Mina so weitergeht, wird sie sich ihre empfindliche Nase gewaltig anstoßen, dachte das Mädchen noch, doch dann tauchte der Kopf des Frettchens und bald sein ganzer Körper in den besagten Stein ein, als bestünde der nur aus warmer Butter.
    Stella wollte ihren Augen nicht trauen, erst recht nicht, als Sesa Minas Kopf noch einmal aus dem so massiv wirkenden Brocken auftauchte und sie rief: »Was ist, willst du nicht nachkommen?«
    Ungläubig nickte Stella. Sie trat nun selbst an die Wand heran. Auch aus allernächster Nähe wirkte der Block völlig solide. Kleine Poren waren zu erkennen wie bei Lavagestein. Stella nahm all ihren Mut zusammen und setzte ihren rechten Fuß an die Mauer. Jedenfalls wollte sie ihn dagegen stemmen. Sobald sie nämlich den vermeintlichen Felsen berührte, tauchte der Fuß einfach in die Wand. Es folgte das Bein. Gleich darauf war das ganze Mädchen verschwunden.
    »Das war ja furchtbar!« Stella schüttelte sich. Sie stand in einem dunklen Gewölbe. Das Durchschreiten einer Mauer unterschied sich doch drastisch von dem Gang durch einen Spiegel. Für Sekundenbruchteile hatte sie das Gefühl gehabt, selbst zu Stein zu erstarren, eine Erfahrung, die sie kein zweites Mal machen wollte.
    »Wir müssen hier entlang«, sagte Sesa Mina und lief einen Tunnel hinab, den ein matter Lichtschimmer erhellte.
    Stella folgte dem Frettchen mit ungutem Gefühl. Wahrscheinlich war der Drache sowieso schon längst über alle Berge.
    Bald wurde offenkundig, woher das Licht in dem Tunnel kam. Es stammte von der Trennmauer. Selbst deren Fundament glühte noch so stark, dass es den Tunnel schwach erhellen konnte. Unmittelbar unter der Mauer spürte Stella die Hitze des Walls. Dennoch war die Temperatur erträglich, was sie angesichts des glühenden Steins mehr als nur verwunderte. Nach ungefähr ein-hundertfünfzig Schritten gelangte sie an eine weitere Mauer. Erschrocken blickte sie auf den porösen schwarzen Stein.
    »Nicht schon wieder, Mina!«
    »Wenn du den Lindwurm nicht verlieren willst, dann muss es sein.«
    Stella seufzte. Sie kniff die Augen zu, hielt die Luft an und tauchte durch die Wand.
    Als sie frische Luft spürte, wagte sie die Lider zu öffnen. Sie stand wieder im Freien und Sesa Mina sprang gerade auf ihre Schulter.
    »Jetzt rechts lang«, befahl das Frettchen.
    Der verbotene Bezirk schien sich durch nichts von der den Besuchern vorbehaltenen Zone zu unterscheiden. Erst als Stella die ersten Menschen über den Weg liefen, musste sie ihre Ansicht etwas revidieren. Offenbar wurden hier die Tagesgeschäfte mit mehr Ernsthaftigkeit und Würde abgewickelt. Die zahlreich auftretenden Gelehrten bevorzugten schwarze Kleidung. Manche hatten wirre Frisuren, trugen eigenartig geformte Augengläser und manchmal noch seltsamere Apparaturen. Aber über allem und jedem schwebte der Nimbus der Wissenschaft. Die Last eines gewaltigen Wissens schien auf die Bewohner dieses Bezirks zu drücken und sie gaben sich alle

Weitere Kostenlose Bücher