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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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den Mund zu und sah auf den Tisch hinab. Nach einer ganzen Weile erst wandte sie sich wieder ihrem Frettchen zu. In Stellas Augen standen Tränen.
    »Ich habe die ursprüngliche Reihenfolge vergessen!«
    »Dazu hast du doch mich«, antwortete Sesa Mina sofort und tippelte auf die Papyrusbogen zu. »Fang mit den Börsennachrichten an.«
    Stella nahm das Blatt.
    »Als Nächstes die Energiewirtschaft.«
    Gehorsam schob Stella den Bogen so hinter den ersten, dass beide Sachgebiete zu lesen waren.
    »Jetzt Reisen und Verkehr.«
    Blatt drei folgte.
    »Edelmetalle.«
    Blatt vier.
    Und so ging es weiter: Sport, Halsabschneider, Internet, Theater.
    »Halsabschneider?«, fragte Stella ungläubig.
    »Das hier ist eine Nachrichtenstadt für das Geschäftswesen«, antwortete Sesa Mina, als wäre das eine ausreichende Erklärung.
    Stella schüttelte den Kopf, aber dann zogen die gestaffelten Bogen doch ihre Aufmerksamkeit auf sich.
    »BERESHIT.«
    Einige Augenblicke lang war es völlig still im Raum. Stella schaute ratlos auf.
    »Bereshit?«, wiederholte sie noch einmal den aus den Anfangsbuchstaben der Themengebiete gebildeten Namen. »Was soll denn das bedeuten?«
    »Es ist unser neues Kagee «, antwortete Sesa Mina gleichmütig.
    »Schönes Kagee ! Was soll ich damit anfangen, wenn ich es nicht verstehen kann?«
    »Mit dem Manuskript aus dem Katasteramt konntest du erst auch nichts anfangen. Wir werden den Sinn des Schattenwortes schon enträtseln.«
    Stella blickte auf die Papyrusbogen in ihrer Hand, als könne sie durch diese hindurch die wahre Bedeutung des Rätsels erkennen. Schließlich seufzte sie. »Du hast Recht. Also, lass uns hier verschwinden…«
    Erst in diesem Moment fiel ihr wieder der dunkle Durchgang ein. Erschrocken fuhr sie herum. In ihrem Rücken gab es nur einen großen Spiegel an der Wand. Er befand sich genau hinter der Stuhllehne, ohne dass ihn Stella bisher bemerkt hätte.
    »Müssen wir da hindurch?«, fragte sie zweifelnd.
    »Also mir fällt kein anderer Weg ein.«
    »Ich verstehe überhaupt nicht, warum sie hier keine normalen Türen einbauen können«, ereiferte sich Stella.
    Sesa Mina keckerte amüsiert und hüpfte wieder auf Stellas Schulter. »Sind dir vorhin nicht die verschiedenen Gebäudeteile aufgefallen? Sie waren nicht miteinander verbunden. Wir befinden uns schon lange nicht mehr im Dreieck der Eingangshalle.«
    »Willst du damit sagen, wir wurden aufgelöst und in einem anderen Flügel des Gebäudes wieder zusammengesetzt?«
    »So ungefähr.«
    Stella packte ihren Speer und sah angewidert auf den großen goldgerahmten Spiegel. »Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal freiwillig in Luft auflösen würde…«
    Plötzlich erstarrte sie. Hinter ihrem Spiegelbild hatte sie eine Bewegung gesehen. Sie wirbelte so heftig herum, dass Sesa Mina auf ihrer Schulter fast den Halt verloren hätte, aber da war nichts. Als sie sich wieder dem Spiegel zuwandte, konnte sie an dessen Rand gerade noch das herzförmige Ende eines Drachenschwanzes verschwinden sehen.
    Ein Schauer rann Stella über den Rücken. »Der Lindwurm!« Nur stockend brachte sie die Worte heraus. »Wir müssen ihn verfolgen.« Im nächsten Moment sprang sie in den Spiegel.
    Diesmal spürte sie während des »Ortswechsels« nichts, sie konnte nur an den Lindwurm denken. Mit polternden Schritten rannte Stella durch das prachtvolle Foyer des Zentralen Botendienstes. Brüskierte Mienen folgten ihrem ungebührlichen Auftritt. Die Pagen schüttelten die Köpfe. Fassungslosigkeit übermannte die freundlichen Gesichter am Empfangstresen.
    Unter dem Torbogen des Ausganges sah Stella noch einmal kurz das Pikass des Lindwurms wippen, ein spöttischer Abschiedsgruß: Nun habe ich meinen zweiten Trumpf ausgespielt! Und dann – sie strauchelte vor Schreck und wäre beinahe hingefallen – hörte sie wieder das vielstimmige schadenfrohe Kinderlachen.
    Auf der breiten Eingangstreppe angelangt, blieb Stella nur der Blick auf leere Gassen, die auf den jetzt wenig belebten Platz vor dem Zentralen Botendienst einmündeten. Von dem Drachen aber fehlte jede Spur.
    Sie war der Verzweiflung nahe. Dieser Wurm tauchte wie der Schatten eines vorüberziehenden Vogels auf und verschwand genauso schnell wieder. Wie hatte sie nur glauben können, ihn jemals zu fassen?
    »Hast du eine Ahnung, wohin der Drache geflogen ist, Mina?«
    »Ist das ein offizieller Suchauftrag?«
    »Ja doch! Das Kagee hat uns zu ihm geführt. Wenn er uns jetzt wieder abhängt, werden wir

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