Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
Vom Netzwerk:
abwechselnd Eintretenden einfach verschluckt. Sobald nur ein Besucher seinen Fuß auf die Schwelle gesetzt hatte, war er auch schon weg.
    Dieser auf Stella nicht eben einladend wirkende Vorgang wurde jeweils von einem dezenten Klingelton angekündigt, der exakt mit dem Aufleuchten eines roten Lämpchens in der Mitte über dem Türbogen zusammenfiel. Ehe sie sich noch darüber klar werden konnte, ob sie und Sesa Mina sich dem Risiko einer Auflösung aussetzen sollten, schwebte eine weibliche Stimme durch die Halle: »Die Dame Stella bitte.«
    Diese atmete tief durch. »Jetzt wird’s spannend, Mina«, flüsterte sie. Ihr Frettchen hielt sich dezent mit einer Erwiderung zurück, wie es sich für einen vornehmen Pelzkragen gehörte.
    Noch bevor Stella den Tresen erreichte, traf sie auf einen Pagen. Er trug eine Livree in demselben orangefarbenen Ton, der für dieses Gebäude offenbar charakteristisch war.
    »Wenn Ihr mir bitte folgen wollt?«, sagte er mit einer leichten Verbeugung.
    Eine Antwort erübrigte sich. Der Page hatte sich schon in Bewegung gesetzt und Stella blieb hinter ihm. Es ging, wie nicht anders zu erwarten, auf die rückwärtige Wand des Foyers zu. Mit einem unguten Gefühl in der Magengrube beäugte Stella die zahlreichen Türbogen. Der Page führte seinen Gast zu dem allerletzten. Über dem Bogen, aber unter dem roten Lämpchen, befand sich ein Schild mit der Nummer achtundvierzig.
    »Euer Lesezimmer ist für Euch hergerichtet«, säuselte der Page und deutete mit beiden Händen auf den dunklen Eingang. »Wenn Ihr bitte eintreten wollt?«
    Eigentlich wollte Stella nicht. Dieser Eingang, Durchgang oder was auch immer kam ihr unheimlich vor. Aber dann machte sie sich bewusst, weshalb sie hier war. Es gab ein Netz aus Schattenworten. Bisher hatte sie erst ein Kagee gefunden. Und hier wartete offensichtlich das zweite auf sie. Nur wenn sie dieses Netz von Knoten zu Knoten weiterverfolgte, konnte sie den Auftrag des Lindwurmbundes erfüllen. Sie atmete noch einmal tief ein, blickte auf den ermutigend lächelnden Pagen und trat unter den Bogen.
    Es war fast, als schreite man durch einen haarfeinen Vorhang warmen Wassers, aber Stella wurde nicht nass. Sie blickte sich verunsichert um. Vor ihr lag ein kleiner dreieckiger Raum, in seiner Schlichtheit kaum zu überbieten. Die glatte Decke bestand aus hellrotem Holz, die Wände waren cremefarben gestrichen und auf dem Parkettboden standen gerade zwei Möbelstücke: ein großer dreieckiger Tisch, der in seiner Ausrichtung exakt der Form des Raumes entsprach, und ein gepolsterter Holzstuhl.
    Sofort bemerkte Stella den säuberlichen Stapel von Schriftstücken auf dem Tisch. Schnell ging sie zum Stuhl, setzte sich, lehnte ihren Speer an die Tischkante und machte sich über die Dokumente her. Sie waren aus Papyrus, ein kaum noch gebräuchliches Schreibmaterial. Auf jedem Manuskript stand oben das jeweilige Fachgebiet. Es gab Bogen für »Börsennachrichten«, »Energiewirtschaft«, »Reisen und Verkehr«, allesamt Themenfelder, die ihr nicht viel sagten. Aber kam es darauf wirklich an?
    Während Stella mit den Augen eher ziellos die verschiedenen Nachrichtenartikel überflog, fiel ihr wieder etwas ein. Eine Spielregel, auch sie stammte aus dem anderen Teil ihres Gedächtnisses. Das Spiel könnte die Anfangsbuchstaben aus den abonnierten Themen nutzen, um daraus ein Schattenwort zusammenzusetzen. Wer hatte das nur zu ihr gesagt?
    Stella verdrängte die Frage, erhob sich wieder vom Stuhl und begann nun aufgeregt die verschiedenen Blätter auf dem Tisch hin und her zu schieben. Sesa Mina hatte sich auf der dreieckigen Platte eine freie Ecke gesucht und verfolgte schweigend das hektische Treiben. Um den Überblick nicht völlig zu verlieren, legte Stella die Papyrusbogen bald gestaffelt übereinander, sodass von den jeweils unteren nur die Sachgebiete zu sehen waren. Niedergeschlagen stellte sie fest, es gab, wenn schon nicht unzählige, so doch viel zu viele Buchstabenkombinationen, die irgendein Wort ergeben konnten. Aber welches war das richtige?
    »Hast du eine Ahnung, Mina, in welcher Reihenfolge man diese Blätter anordnen muss, damit unser Schattenwort herauskommt?«, fragte sie schließlich ratlos.
    »Vielleicht so, wie sie am Anfang lagen?«, antwortete Sesa Mina.
    Stellas Mund öffnete sich, sie brachte jedoch keinen Laut hervor. Entgeistert blickte sie auf das Frettchen. Das weiße Pelzgesicht schien sie spöttisch anzugrinsen. Verärgert klappte sie wieder

Weitere Kostenlose Bücher