Das Netz der Schattenspiele
vielleicht nie sein Nest finden.«
»Wohin er geflogen ist, kann ich dir nicht sagen…«
»Das wäre ja das erste Mal…«
»… aber in welche Richtung er gelaufen ist, das kann ich wittern.«
»Du bist unmöglich, Mina!«
»Da hast du Recht.«
So schnell sie nur konnte, lief Stella zum Hafen zurück. Sesa Mina navigierte sie durch das Gassenlabyrinth der Stadt. Beim Liegeplatz angekommen, schwang sich das Mädchen in das Wasserfahrzeug, und nachdem der Namen des Zielortes sich in einem der Glasröhrchen aufgelöst hatte, nahm die Patrone Fahrt auf.
»Das ist nur eine Relaisstation«, erläuterte das Frettchen den nichts sagenden Ortsnamen. »Aber dort laufen viele Wasserstraßen zusammen.«
»Heißt das, du weißt nicht genau, wohin sich der Lindwurm abgesetzt hat?«
»Heute scheint er seine Spur gründlicher verwischen zu wollen.«
»Na, vielleicht heißt das ja, dass wir unserem Ziel, dem Drachennest, ganz nahe sind!«, sagte Stella aufgeregt.
»Freu dich nicht zu früh. Dieses Biest hat uns schon oft an der Nase herumgeführt.«
Der Knotenpunkt war beinahe so groß wie eine richtige Stadt. Hier verließ Sesa Mina für kurze Zeit die Patrone, um ihre Witterung zu überprüfen. Dann kam sie zurück und nannte Stella einen neuen Namen.
»Ist das wieder eine Relaisstation?«
»Ja. Und zwar eine ganz am anderen Ende von Illusion. Der Wurm spielt Fangen mit uns.«
»Und du scheinst das auch noch lustig zu finden!«
»Du etwa nicht?«
Mit griesgrämiger Miene kritzelte Stella den betreffenden Namen auf ein kleines Stück Papier und steckte es in das Navigationsröhrchen.
Der nächste Zielort erwies sich wieder nur als Finte. Stella wurde immer aufgeregter. Bestimmt war sie dem Wurm dicht auf den Fersen! Er schlug Haken, um sie abzuschütteln. Mit ungutem Gefühl erinnerte sie sich ihrer Schwindelanfälle. Wann würde diese Übelkeit zurückkehren, die ihre erste Reise hatte scheitern lassen? Wenn erst wieder alles um sie herum durchscheinend wie Glas wurde, dann konnte sie unmöglich den Lindwurm weiter verfolgen, geschweige denn ihn zum Kampf herausfordern.
Es folgten weitere Relaisstationen. Die Jagd in der Patrone wurde immer hektischer, Stella dagegen langsam, aber sicher müde. Die ewigen Ablenkungsmanöver des Drachen zermürbten sie. Sie hatte ja immer noch das neue Schattenwort. Vielleicht war der Tag einfach noch nicht gekommen, den Lindwurm zu stellen…
Da sagte Sesa Mina: »Masinof.«
»Das ist doch…?«
»Ja, eine richtige Stadt.«
»Leben da nicht fast ausschließlich Gelehrte?«
»Jedenfalls das, was ihr Menschen dafür haltet.«
Stellas Feder huschte über den Zettel. Sie versenkte das Blatt in der klaren Flüssigkeit der Navigationsröhre. Und schon zischte die Patrone davon.
Getragen von einer reißenden Strömung schoss das Gefährt auf Masinof zu. Die Stadt wurde von einem gewaltigen runden Kuppelbau beherrscht. Aus der Ferne konnte man erkennen, dass es hier ebenso wie in Blaxxun eine innere Trennmauer gab. Dieser deutlich sichtbare Wall brannte lichterloh.
Wie sich schon bald nach der ungehinderten Einreise herausstellte, war der verbotene Bezirk in Masinof ungleich größer als in der Stadt der Schwarzen Sonne. Im Grunde genommen bestand der öffentlich zugängliche Teil nur aus einem kleinen Stadtbezirk am Hafen, einer Exklave, einer Freihandelszone, in der sich Wissende und Wissensdurstige aus allen Regionen Illusions begegneten und mehr oder weniger weltbewegende Weisheiten austauschten.
Diese Erkenntnis musste Stella nicht erst durch die bloße Beobachtung gewinnen. Masinof war für jeden, dem etwas an technischem Wissen lag, ein Begriff. Selbst eine Konstrukteurin von Marderfallen konnte sich hier noch wertvolle Anregungen holen. Im Augenblick hatte sie jedoch andere Dinge im Kopf.
Sesa Mina folgte weiterhin der Fährte des Lindwurms. »Er ist in den verbotenen Bezirk entwischt«, sagte das Frettchen, als es seine Herrin in eine Gasse dirigierte, die unmittelbar auf die flammende Trennmauer zuführte.
Stella blickte zweifelnd auf den lodernden Wall. »Da kommen wir doch niemals durch!«
»Sag niemals nie«, keckerte Sesa Mina und forderte dann Stella auf, in einem Hauseingang auf sie zu warten. Im nächsten Moment war sie verschwunden – wieder einmal.
Schon nach kurzer Zeit kehrte sie jedoch zurück. »Ein Tunnel.«
Eine derartige Äußerung hätte Stella vor drei Tagen noch ziemlich ratlos gemacht. Jetzt nahm sie die Nachricht fast schon gelassen auf.
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