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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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stehen. Warum durfte ein Toaster mit elektronischer Bräunungssteuerung nicht benutzt werden? Weil er sich unversehens in eine Brandbombe verwandeln konnte. Weshalb war ein elektronisches Fieberthermometer für Kleinkinder plötzlich nicht mehr zu gebrauchen? Weil das zarte Ohr des Zöglings auf heftige Stromschläge empfindlich reagieren mochte. Weshalb durfte ein Kraftfahrzeug mit Automatik oder mit elektronischer Geschwindigkeitskontrolle nicht mehr benutzt werden? Das glänzende Prachtstück konnte schnell zu einem Killer werden – eine zu enge Kurve, eine zu hohe Brücke und schon würde ein plötzlich verrückt spielender Antrieb für letale Folgen sorgen. Wer konnte schon überblicken, ob nicht bereits bei der Produktion elektronischer Schaltungen Fehler eingeflossen waren, die sie zu tickenden Zeitbomben machten?
    Natürlich wusste DiCampo, dass eine als Toaster getarnte Brandbombe auch durch die globale Totalausschaltung nicht zu entschärfen war. Aber lieber ein Gerät zu viel deaktivieren als eines zu wenig, lautete seine Devise.
    Trotz alledem gab es noch genügend Ausnahmefälle. Die Lebenserhaltungssysteme auf Intensivstationen durften zum Beispiel nicht abgeschaltet werden. Und zurzeit befand sich ein Spaceshuttle in der Erdumlaufbahn; man konnte den Astronauten nicht zumuten, ihre Gerätschaften für eine Stunde schlafen zu legen. Dann waren da einige hoch sensible Sicherheitssysteme, nicht zuletzt militärische, deren Betreiber sich jeder Einflussnahme standhaft widersetzten.
    »Eine vollständige, wenn auch nur zeitweise Aufgabe aller elektronischen Einrichtungen ist heutzutage ohne gewaltsamen Eingriff- beispielsweise durch den Einsatz einer E-Bombe – nicht vorstellbar«, hatte Salomon prophezeit. Die Berichte aus aller Welt gaben ihm Recht.
    Am Abend nach dem New Yorker Crash hatte Salomon seine erste Fassung des Cyberwurm-Scanners fertiggestellt. Ohne seine weise Voraussicht, die ihn mit der Arbeit daran schon einige Tage zuvor hatte beginnen lassen, wäre es nie so schnell gegangen. Die Software würde die meisten PCs der Welt vor dem schützen können, was ihm als Kagee -Mutanten bekannt war. Salomon hatte sich bewusst vorsichtig ausgedrückt. Bisher war der Drache Stella immer wieder entwischt. Auf die Verhältnisse des Real Life übertragen bedeutete dies, niemand vermochte zu sagen, wie er eindeutig identifiziert werden konnte. Auch über die Frage, wozu dieses mutierte Spiel wirklich fähig war, konnte nur spekuliert werden.
    Mittlerweile waren dreißig Softwarespezialisten mit der Portierung des Cyberwurm-Scanners auf andere Plattformen beschäftigt – sie passten das Programm also für die unterschiedlichsten Computertypen und deren Betriebssysteme an. Bald war abzusehen, dass innerhalb von nur drei Tagen nicht alle Rechnerplattformen geschützt werden konnten.
    Man tat, was möglich war. Bereits in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag konnten sich besorgte Computerbenutzer die ersten Versionen der Immunisierungssoftware aus dem Internet saugen. Bis Freitagmorgen nutzte man sämtliche denkbaren Verteilungswege. CD-ROMs wurden Tageszeitungen beigelegt, als Wurfsendungen in Briefkästen deponiert oder an diversen Ausgabestellen kostenlos verteilt. Aufgeschreckte PC-Benutzer konnten samt Rechner eigens dafür eingerichtete Beratungsstellen aufsuchen und sich »desinfizieren« lassen.
    Auch andere Vorbereitungen waren nötig. Die meisten Stromnetze würden über eine Stunde lang keine Elektrizität mehr liefern – man musste also für bestimmte wichtige Aufgaben Notstromaggregate bereithalten. Kernkraftwerke würden sogar viel länger ausfallen, weil man sie nicht einfach wie eine Glühbirne aus- und wieder einschalten konnte. Die gesamte Kommunikation würde zusammenbrechen – Polizei und Militär sollten, an strategischen Punkten eingesetzt, Städte und Gemeinden vor Plünderern sichern. Das Krankenhauspersonal in den Notaufnahmen bereitete sich auf einige heiße Stunden vor. In vielen Städten würde die Frischwasserversorgung ausfallen, weil die Pumpen elektronisch gesteuert waren. Da niemand wusste, ob alle Aggregate nach einer Stunde wieder problemlos ansprangen, empfahlen die Behörden das Anlegen von Wasservorräten.
    Und das waren nur einige der dringend notwendigen Maßnahmen. Der, wie viele hofften, entscheidende Schlag gegen den Cyberwurm war ein Unternehmen, das in der Menschheitsgeschichte seinesgleichen suchte. Wie so oft in Krisenzeiten wurde an diesen Tagen die

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