Das Netz der Schattenspiele
Rundgang. Stella sah den berühmten Kuppelbau des Rogers Building, das eigentliche Wahrzeichen des MIT. Es erinnerte sie, wohl nicht ganz zufällig, an den Tempel der Wissenschaft aus Illusion. Sie besuchten auch das Kresge Auditorium und die Kresge Chapel, beide entworfen von Eero Saarinen, dem großen amerikanischen Architekten finnischer Abstammung.
Etwas weiter auf ihrem Weg fielen die Gebäude unscheinbarer aus. In den Grünanlagen des Campus lagen große glatte Klötze wie zufällig verteilt, verlorenem Kinderspielzeug ähnlich, manchmal so schlicht wirkend, dass wohl nur ein Anhänger des geradlinigen Bauhausstils daran Gefallen finden konnte. Doch hier befanden sich die ehemaligen Wirkungsstätten Salomons. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er hier noch als viel versprechender Student gegolten, den so mancher Professor mit wachsamen Augen beobachtete.
Das viel zu kurze Jahr in Cambridge sollte Salomons weitere berufliche Laufbahn entscheidend prägen. Mit einem angesehenen Stipendium in der Tasche konnte er am so genannten Harvard/MIT Cross-Registration Program teilnehmen, das den MIT-Studenten auch die Vorlesungssäle der Harvard University erschloss. Den Kopf voller Ideen kehrte er nach Deutschland zurück, konnte aber schon ein Semester später sein Studium in den USA fortsetzen, diesmal an der University of California in Berkeley. Hier – genauer gesagt in San Francisco – war dann kurze Zeit später auch Stella geboren worden.
Benny, der in den vergangenen Tagen zu schüchtern gewesen war, um Stella nach den Details ihrer Lebensgeschichte zu fragen, nickte still vor sich hin.
»Was ist?«, fragte Stella.
»Du hast es bestimmt nicht leicht gehabt. Diese verschiedenen Lebenssituationen meine ich: erst in den Staaten aufgewachsen, dann in Deutschland zur Schule gegangen. Das stelle ich mir nicht einfach vor.«
Stella fühlte ein angenehmes Prickeln auf ihrem Rücken. Endlich einmal jemand, der sie zu verstehen schien!
»Ich bin streng nach jüdischer Tradition erzogen worden«, fügte Benny hinzu, weil Stellas einzige Antwort nur in einem rätselhaften Blick bestanden hatte. »Später, auf dem College, als ich nicht mehr jeden Abend in den Schoß der Familie zurückkehren konnte, hat mich der American Way of Life regelrecht k. o. geschlagen.« Benny lächelte verlegen. »Das hört sich für euch beide jetzt vielleicht dumm an. Ich war ja in einer amerikanischen Stadt geboren, aufgewachsen und auch zur Schule gegangen. Jedenfalls habe ich einige Jahre gebraucht, um meine religiösen Wurzeln mit dem Lebensgefühl hier in Einklang zu bringen. Wie du, Stella, war ich damals auch ziemlich… äh…«
»Unausgeglichen?«, half Stella lachend nach.
»Naja, du weißt schon, was ich meine.«
Für einige Zeit hing ein jeder den eigenen Gedanken nach. Doch dann meldete sich wieder die Stimme des Fremdenführers.
»Da habe ich einmal eine zwanzigtausend Dollar teure Versuchsanordnung in die Luft gesprengt.« Salomon deutete auf einen Flachbau.
»Und sie haben dich dafür nicht rausgeschmissen?«, fragte Stella ungläubig.
Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Mein Prof meinte, ich hätte ihm geholfen, einen ›garstigen Fehler‹ zu entdecken. Er bat mich nur, das nächste Mal vielleicht auf eine weniger spektakuläre Weise vorzugehen.«
»Und? Hast du auf ihn gehört?«
»Danach bewegten sich meine Explosionsobjekte immer unterhalb der Zehntausend-Dollar-Marke.«
Lachend betraten die drei den Flachbau. Hier wie auch schon in den anderen Gebäuden trafen sie auf Beamte vom Secret Service, Angehörige der Campuspolizei und noch einige andere Männer und Frauen, deren geheimdienstliche Heimat nicht auf Anhieb zu bestimmen war.
»Hier ist das Büro von Tomaso, einem alten Freund«, sagte Salomon am Ende eines schmalen Flurs. Er trat, ohne anzuklopfen, ein und winkte seiner Tochter und Benny.
»Was hast du vor?«, erkundigte sich Stella.
Salomon zeigte ihr sein Notebook. »Ich habe noch immer keine Antwort von Viviane bekommen. Wenn es nicht unbedingt sein muss, möchte ich das hier lieber nicht im Building 20 d einschalten. Würde mich nicht wundern, wenn der ganze Komplex dort mit DiCampos Wanzen und elektromagnetischen Scannern durchsetzt wäre.«
Mit Bennys Hilfe schaffte Salomon an einem Besprechungstisch, der mit unzähligen Papieren übersät war, für sein Notebook ausreichend Platz. Als Nächstes verband er das Satellitentelefon per Kabel mit dem Computer. Wenige Minuten später war er im
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