Das Netz der Schattenspiele
Durchlässigkeit der Synapsen, der Zellverbindungsstellen, für elektrochemische Signale. Einfach ausgedrückt, beschleunige der NeuroBooster nur einen natürlichen Prozess, der immer dann ausgelöst werde, sobald sich ein Mensch etwas einpräge. Es gebe auch andere allgemein akzeptierte Mittel zur Konzentrationssteigerung. Der NeuroBooster sei lediglich ein noch unbekanntes Medikament. Es unterstütze die Bildung neuer neuronaler Verknüpfungen im Gehirn, wodurch sich dessen »Empfangsbereitschaft« für die Impulse der Neuro-Aktivitäts-Resonanz-Sonde erhöhe. Das sei alles.
Mark erinnerte sich sehr wohl an das, was Dr. Gerrit gegenüber Kimiko ausgeplaudert hatte. DiCampos Schilderungen stimmten in vielen Punkten damit überein. Ob er denn – hier, vor Zeugen – schwören könne, dass der Einsatz des Enzyms nicht zu einem permanenten Traumzustand führe, wollte Mark daraufhin von DiCampo wissen.
Der wand sich wie ein Aal. Mediziner gäben nicht einmal bei den simpelsten Operationen Erfolgsgarantien ab. Ein gewisses Restrisiko sei immer zu tragen, wenn man sich mit moderner Technik einlasse.
»Fragt sich nur, wie groß der Rest ist«, antwortete Mark giftig. »Tom Winfield und Ian McCubbin haben dabei ihren Verstand verloren. Mit einem Koma wären sie vermutlich besser bedient gewesen als mit dem Dämmerzustand, in dem sie sich jetzt befinden. Wollen Sie diese ›Betriebsunfälle‹ etwa auch bestreiten, Dr. DiCampo?«
Bei der Nennung der beiden Ex-Cybernauten war der Projektleiter wie zu Eis erstarrt. Er blickte Mark entgeistert an. »Woher haben Sie diese Namen?«, zischte er endlich.
»Sagen wir, von einem Insider!«, schlug Mark vor.
Nun drohten dem Italiener die dunklen Augen aus den Höhlen zu treten. Sein Gesicht wurde tiefrot und er schrie: »Dieser Spinner hat es Ihnen gesteckt, Dark Listener oder wie er sich nennt…«
»Wir werden die Namen auf jeden Fall durch unsere Computer jagen«, sagte Agaf mit ausdrucksloser Miene. »Oder finde ich Winfield und McCubbin sowieso in dem Bericht, den Sie mir heute Abend aushändigen wollen?«
»Vergessen Sie die beiden«, lenkte DiCampo ab. »Im Augenblick jedenfalls. Wir haben wirklich Wichtigeres zu tun, als nach irgendwelchen Namen zu fahnden oder medizinische Bulletins zusammenzustellen. Stella hat vor ihrer Rückkehr aus dem Cyberspace zwei Kontakte gehabt. Der eine liegt uns im Klartext vor, aber der andere – er ist ganz und gar verwirrend. Ich verspreche Ihnen, Mister Nbugu und Professor Kalder, dass ich Ihnen, den Vereinten Nationen oder wem auch immer die kompletten Unterlagen unserer bisherigen Cybernauten aushändigen werde. Doch wir dürfen jetzt nicht die Prioritäten außer Acht lassen. Helfen Sie uns bitte bei der Auswertung von Stellas Reiseprotokoll. Sie kennen schließlich Ihre Tochter wie kein Zweiter hier. Wenn es in dem Logbuch eine heiße Spur gibt – und davon bin ich fest überzeugt –, dann dürfen wir sie nicht abkühlen lassen.«
Mark glaubte dem Italiener kein Wort. Er würde ihn ins Gefängnis bringen für das, was er seiner Tochter angetan hatte. Das stand für ihn fest. Aber er spürte auch, da gab es noch etwas anderes, Größeres. DiCampo versuchte diesen Sachverhalt zu verbergen. Daher auch das großzügige Angebot mit den Cybernautenakten.
Die kühle Ratio verdrängte nun bei Mark den überschäumenden Zorn. DiCampos Argumente entbehrten nicht einer gewissen Logik. Auch Agaf musste das einräumen. Stella mochte tatsächlich eine entscheidende Fährte entdeckt haben. Diese jetzt nicht weiterzuverfolgen konnte sich wirklich als unverzeihlicher Fehler erweisen. Sollte DiCampo ruhig glauben, er habe den wütenden Vater noch einmal täuschen können. Der Sieger in diesem Netz der Schattenspiele stand erst am Ende fest.
»Wie geht es Stella?«
»Den Umständen entsprechend gut, Benny. Sie hat allerdings noch nie so lange gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Im Augenblick ist Kimiko bei ihr, weil ich kurz mit dir und Agaf sprechen wollte.«
»Worum handelt es sich denn?«, erkundigte sich der Nigerianer. Er, Mark und Benny spazierten über den MIT-Campus. Sobald Stella erwachte, würde Kimiko Mark über einen Pager informieren.
»Zwei Dinge. Zunächst: Ich habe eine Antwort von Valentin Braitenberg erhalten. Ihr erinnert euch? Das ist ein alter Bekannter von mir, der am Tübinger Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik arbeitet. Ich hatte ihm eine Frage zur künstlichen Stimulierung der
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