Das Netz der Schattenspiele
›Vernetzungsfähigkeit‹ des Gehirns gestellt. Braitenberg hat Erkundigungen eingeholt und warnt ausdrücklich vor entsprechenden Versuchen. Es besteht die Gefahr, dass sich völlig neue Schaltstellen im Gehirn ergeben, die sich auch nach dem Erwachen der stimulierten Person nicht mehr beseitigen lassen.
Auf diese Weise könnten, so schrieb er mir, ›andere Wirklichkeitszustände für den Probanden geschaffen werden‹.«
»So etwas habe ich fast befürchtet«, sagte Agaf und blickte trüb vor sich hin.
»Braitenberg meint zwar, er könne die Konsequenzen eines solchen Experiments nicht ganz abschätzen, aber das ist eine Redewendung, die wir Wissenschaftler gerne gebrauchen, wenn wir die Verantwortung abwälzen wollen.«
»Hoffentlich steht Stella das alles unbeschadet durch«, murmelte Benny. Als er Marks Blick bemerkte, sah er verlegen zu Boden. Eine Hand legte sich auf seine Schulter.
»Danke, dass du dich so um meine Tochter sorgst.«
»Das ist doch wohl das Mindeste, oder?«
»Was wolltest du uns eigentlich noch sagen, ich meine deinen zweiten Punkt?«, fragte Agaf mitfühlend, dennoch war eine gewisse Dringlichkeit in seiner Stimme nicht zu überhören.
»Ich habe in den letzten zwei Stunden Stellas Reiseprotokoll studiert. Es gibt tatsächlich darin eine Passage, die ich genauso wenig entziffern kann wie DiCampos Analytiker. Dafür ist mir etwas anderes aufgefallen. Der angebliche Datenbankverwalter, der über das interne Nachrichtensystem des Campusnetzes mit Stella kommuniziert hat, erwähnte ein ›Netz der Kinder‹. Moment, ich habe ausgedruckt, was in dem Logbuch stand.« Mark zog ein Blatt Papier aus der Brusttasche seines karierten Hemdes. »Er sagte: ›Vergiss alles Blendwerk und suche nach dem Netz der Kinder, dem wahren Geneses.‹«
»Du meinst Genesis«, wiederholte Agaf mit Betonung auf der letzten Silbe.
»Genau darum geht es. Zunächst habe ich an einen Tippfehler des anonymen Informanten geglaubt und vermutlich ist es uns allen so ergangen… DiCampos Analytiker, die ganze Cyberworm-Mannschaft hat immer nur nach Projekten oder Firmen gefahndet, die das Wort Genesis in ihrem Namen tragen. Aber der Datenbankverwalter – oder was immer er ist – sprach gegenüber Stella ganz offensichtlich von Geneses.«
Benny schüttelte ungläubig den Kopf. »Diese Einfaltspinsel haben nicht fehlertolerant gesucht!«
Mark bemerkte Agafs fragenden Blick und erläuterte: »Bei einer fehlertoleranten Textsuche werden auch Variationen des Suchbegriffs erkannt. Man spricht dann von einer mehr oder weniger großen ›Unschärfe‹, die das Recherchesystem abdeckt.«
Agaf nickte. »Ich kenne das von den Internet- Suchmaschinen. Hast du denn unter dem Begriff ›Geneses‹ etwas finden können?«
»Im MIT-Netz nicht. Aber dann habe ich mich an meine Studienzeit in diesen heiligen Hallen des Wissens erinnert. Damals war ich auch öfters drüben in der Harvard-Universität. In ihren etwa achtzig Einzelbibliotheken befinden sich ungefähr elf Millionen Bände. Um da noch den Überblick zu behalten, wurde HOLLIS entwickelt. Der Name steht für Harvard On-Line Library Information System – nettes Akronym, oder? Jedenfalls bin ich in dem Bibliothekskatalog fündig geworden. Ich fand einen Aufsatz eines gewissen Professor Arthur M. Lloyd. Er hat einen Lehrstuhl am MIT und ist ganz nebenbei Inhaber eines Unternehmens für Gentechnik.«
»Jetzt geht mir ein Licht auf!«, brummte Agaf. »Die drei ersten Buchstaben im Namen Geneses stehen für ›Gen‹ oder ›Gentechnik‹.«
»Lloyds Firma heißt offiziell Genetic Enterprises.« Mark lächelte seine Freunde triumphierend an. »Noch ein Wortspiel. Wenn ihr euch die richtigen Buchstaben herauspickt, wird daraus ›Geneses‹.«
Agaf schüttelte ungläubig den Kopf. »Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Was ein einziger Buchstabe einem doch für Umstände bereiten kann! Weiß DiCampo schon davon?«
Mark nickte. »Wir haben telefoniert. Außerdem bekommen alle Cyberworm-Mitarbeiter eine E-Mail von mir.«
Benny schmunzelte. »Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, was?«
»Ich möchte nur vermeiden, dass DiCampo uns hintergeht. Je mehr Mitwisser es gibt, umso weniger kann er seine Spielchen mit uns treiben.«
Stella fand nur sehr langsam wieder in die Wirklichkeit zurück oder vielmehr in das, was sie dafür hielt. Als sie am Abend die Augen aufschlug, lag sie in einer Art Burggemach. Ihr Bett stand in der Nähe eines
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