Das Netz der Schattenspiele
darauf siehst als ich, dann – bitte! – verrate es mir endlich.«
»Einen Moment. Gleich werden wir’s wissen.«
Mark begann erneut auf der Tastatur herumzuklimpern und fragte, ohne sich auf die Eingabe groß konzentrieren zu müssen: »Schon mal was von Steganografie gehört?«
»Hm, soweit ich weiß, nennt man so die Geheimschreibkunst.«
»Richtig, oder Geheimschriften schlechthin. In der Informationstechnik gibt es noch ein weiteres Anwendungsfeld für die Steganografie. Unter diesem Oberbegriff werden einige niedliche Progrämmchen zusammengefasst, mit denen man Dateien verstecken kann. Ehe du jetzt fragst, wo: Man kann sie in normalen Textdokumenten, in Audiodaten oder auch in Bilddateien einschmuggeln.«
Agafs Gesicht spiegelte ungläubiges Staunen wider. »Willst du damit sagen, jemand hat für uns eine Botschaft mit Geheimtinte auf diese Ansichtskarte geschrieben?«
»Genau das. Der Lauscher hat vorausgesehen, dass Stellas Chat-Besuche auf Dauer nicht geheim bleiben würden. Und da die NSA mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit meine Mailbox angezapft hat, konnte er mir auch nicht direkt eine Nachricht zusenden. So aber hat er sie einfach an DiCampo geschickt, hoch offiziell gewissermaßen. Und ich habe nur eine Kopie bekommen. DiCampos Leute werden mit dem Foto keine Zeit verschwenden, sondern die Mails zu knacken versuchen, die ich von Viviane und meiner Berliner Studentin bekommen habe.«
»Der Bursche ist wirklich raffiniert!« Agaf blickte bewundernd auf Marks flinke Finger. Im nächsten Moment stieß der einen triumphierenden Laut aus. »Volltreffer!«
»Du hast eine versteckte Botschaft gefunden?«
»Ja, ich muss sie nur noch entschlüsseln. Ein wirklich umsichtiger Hacker.« Mark konnte an seinem Steganografieprogramm erkennen, dass im Bild noch eine Datei verborgen war. Solche Zusatzinformationen ließen sich in winzigen Farbverschiebungen kodieren, die man mit dem bloßen Augen nicht wahrnehmen konnte. Er war ganz dicht dran! »Welches Codewort könnte der Dunkle Lauscher gewählt haben?«
»Versuch es mal mit ›Starlet‹.«
Acht Tastendrücke später ein Kopfschütteln. »Fehlanzeige. Nächster Vorschlag bitte.«
»Wie wär’s mit ›Alban‹?«
Mark verzog das Gesicht, versuchte es aber trotzdem. »Auch nicht.« Im Folgenden probierte er noch eine ganze Reihe weiterer Passworte aus: Stella, NSA, Schnuppe, DiCampo, Cesare, Kalder, Lauscher… Plötzlich hatte er einen Geistesblitz. Er tippte das deutsche Wort »Sternchen« in das Schlüsselfeld. Beim nächsten Drücken der Enter-Taste öffnete sich ein Fenster.
»Du bist ein Genie, Mark!«
»Nein, Agaf, der Dunkle Lauscher verdient die Lorbeeren. Sieh nur, was er uns geschrieben hat.«
Beide lasen schweigend die Mitteilung ihres mysteriösen Komplizen.
Hi, Mark,
ich weiß über Stella Bescheid. Ich bin ein Freund und will euch helfen. Mehr kann ich im Augenblick nicht verraten. Wenn sie mich finden, dann werden sie dem Dunklen Lauscher die Ohren abschneiden.
Stella ist in großer Gefahr! Der Intruder hat schon zwei Cybernauten buchstäblich um den Verstand gebracht. Die NSA hat beide später in eine geheime Klinik gebracht, wo sie in einem ewigen Traum vor sich hin dämmern. Sie liegen einfach nur da, mit offenen Augen, sind aber nicht mehr ansprechbar. Die Welt um sie herum existiert nicht mehr. Dasselbe darf Stella auf keinen Fall passieren! Frag DiCampo nach dem „NeuroBooster“. Wenn er mit der Antwort nicht herausrücken will, dann frag ihn nach Tom Winfield und Ian McCubbin, den beiden Cybernauten. Aber sei vorsichtig, DiCampo ist äußerst gefährlich! Ich versuche alles, um seine Machenschaften aufzudecken. Deine Tochter hat mir einen wertvollen Tipp gegeben. Ich hoffe, wir sehen uns bald IRL.
Viel Glück. ;-)
Lauscher
»Dieser Schweinehund!«, fauchte Mark. Dabei musste er an die eigene Nachgiebigkeit gegenüber DiCampo denken und das regte ihn noch mehr auf. Er hatte zwar den Intruder für bedenklich gehalten – schließlich verabscheute er auch den Genuss von Rauschgiften –, aber Stellas Entschlossenheit und die eigenen Beobachtungen hatten ihn glauben lassen, es käme auf ein oder zwei Cyberspace-Reisen mehr nicht an. Aber das! Seine Tochter in einem »ewigen Traum« gefangen! Die Skrupellosigkeit des Projektleiters machte ihn beinahe rasend vor Wut.
»Du musst jetzt Ruhe bewahren«, sagte Agaf eindringlich. Seine Hand lag schwer auf Marks Schulter, als wolle er ihn am Weglaufen hindern.
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