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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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ein paar andere Sachen studiere. Und du dürftest Stella sein, stimmt’s?«
    »Wenn du schon so gut über unsere Familienverhältnisse informiert bist, solltest du auch wissen, dass unsere Haushälterin nur dienstags kommt und dreißig Jahre älter ist als ich.«
    »Dein Vater ist noch in der Garage. Er kommt gleich nach«, überging Jessica Stellas Bemerkung, um dann aber doch mit einem Seitenhieb zu kontern. »Hab dich wohl gerade bei was Wichtigem gestört?«
    »Ich wüsste nicht, was dich das angeht.« Stella machte auf dem Absatz kehrt und stapfte in die Diele zurück. Die Haustür ließ sie zwar offen, verzichtete aber demonstrativ darauf, die Studentin hereinzubitten.
    Während sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinaufpolterte, fragte sie sich, was wohl in ihren Vater gefahren war, dass er diese Person hier anschleppte. Am Morgen noch hatte er seiner Tochter hoch und heilig versprochen, mit ihr abends ein ernstes Gespräch zu führen. Wollte er das etwa im Beisein dieser Jessica tun? Und überhaupt, wer war sie denn, dass er sie hierher brachte, nach Hause, in die unmittelbare Nähe seines Allerheiligsten? Allein schon das Betreten des Bannkreises rund um das Chaos war doch sonst jedem Sterblichen versagt. Warum dann nicht diesem Mädchen?
    Für Stella gab es nur eine Erklärung: Ihr Vater musste eine Geliebte haben. Jahrelang hatte Salomon Anekdoten von seinen Studentinnen erzählt, die ihn anhimmelten, als wäre er ein berühmter Hollywoodschauspieler. Er hatte dabei immer gelacht, wie über nicht ernst zu nehmende, spätpubertäre Schwärmereien. Aber jetzt – Viviane war nicht einmal vier Monate von zu Hause fort – hatte ihn offenbar doch eines seiner Uni-Groupies um den Finger gewickelt. Und er besaß auch noch die Kühnheit, diese Person seiner Tochter vorzustellen.
    Stellas Folgerung war nicht unbedingt schlüssig, aber sie hatte auch keine Lust, ihren Verdacht gründlicher zu prüfen. Sie war stinksauer, weil man sie so brutal aus ihrer Phantasiewelt gerissen hatte, und verwirrt, weil sie sich wirklich nicht erklären konnte, warum ihre Mutter so lange brauchte, um Großvaters Nachlass in Connecticut zu regeln. Solche Situationen waren dann natürlich vorprogrammiert. Nicht erst seit diese Jessica Pollock da unten vor der Haustür erschienen war, hatte sich Stella Sorgen um die Beziehung ihrer Eltern gemacht, sich gefragt, ob es zwischen den beiden noch klappte. Aber diese Frage, gerade diese Frage, hätte sie Salomon zuallerletzt gestellt. Stella wusste, dass sie eine »Vogel-Strauß-Politik« nicht weiterbringen würde, aber wenigstens wollte sie die Konfrontation mit dem Thema – und einer vielleicht damit verbundenen unangenehmen Wahrheit – so lange wie möglich hinausschieben.
    »Stella?«
    Salomons Stimme klang dumpf von unten herauf. Nur äußerst selten benutzte er ihren richtigen Namen. Warum gerade jetzt? Vermutlich wegen dieser Jessica. Stella stellte sich taub.
    »Sternchen, komm doch mal bitte herunter. Ich möchte dich jemandem vorstellen.«
    Nicht nötig, hätte sie am liebsten zurückgerufen. Habe sie schon beschnuppert. Sieht klasse aus, deine Neue. Diese rotblonden Haare! Die sportliche Figur! Und die niedlichen Sommersprossen auf der Nase!
    Mit einem Mal musste Stella wieder an die Worte vom Mittwochabend denken. Ich hab dich lieb. Sie atmete tief ein. Vielleicht tat sie ihrem Vater Unrecht…
    Schwerfällig erhob sie sich wieder von ihrem Bett, auf das sie sich trotzig hatte fallen lassen, und schlurfte zur Tür. Sie stieg die Treppe zur Diele hinab und baute sich brav vor dem fremden Mädchen auf.
    Ein Wunder, dass diese Jessica überhaupt schon an der Uni studieren durfte. Stella schätzte sie auf höchstens achtzehn. Wie konnte sie in diesem Alter schon eine »Mitarbeiterin« ihres Vaters sein? Stella wollte über die möglichen Konsequenzen dieser Frage lieber nicht genauer nachdenken. Und dann sah Jessica auch noch so schrecklich gut aus! Nun, ihr Gesicht wirkte für ein Model vielleicht etwas zu spitzbübisch, aber Stella entdeckte keinen einzigen Pickel darauf. Dieser Umstand wurde sogleich auf dem Schuldenkonto der Fremden verbucht.
    »Eure offizielle Vorstellung habt ihr ja schon hinter euch«, brach Salomon Stellas eisiges Schweigen. »Jessica Pollock ist eine der fähigsten jungen Damen, die jemals bei uns an der Uni immatrikuliert waren«, lieferte er auch gleich ein Gegenargument für Stellas ersten Belastungspunkt. »Ihre Kenntnisse in der Kryptologie und vor allem

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