Das Netz der Schattenspiele
Schwäche für Artussagen und Fantasygeschichten. Allerdings brauchst du in dem Chat…«, Jessica deutete auf Stellas Hosentasche, in der der Zettel mit der Internet-Adresse steckte,»… keine Angst vor aufdringlichen Typen zu haben. Wir sind vielleicht eine etwas bizarre Gemeinde, aber ansonsten ziemlich harmlos.«
»Unter welchem Nick machst du denn die Chats unsicher?«
»Ich bin Elektra.« Jessicas Grübchen traten wieder hervor. »Passt doch zu jemanden wie mir, oder? Hinter der Adresse, die ich dir gegeben habe, verbirgt sich ein VR-Chat – echt lustig, wenn du die geistreichen Gespräche der Chatter nicht nur lesen, sondern die Plauderer sogar sehen kannst. Den Elektra-Avatar erkennst du sofort: Meine Stellvertreterfigur hat grüne Haare, trägt bevorzugt Weltraumanzüge und bewegt sich mit kleinen Flügeln fort.«
»Klingt ja wirklich schrill!« Zum ersten Mal stahl sich ein Lächeln auf Stellas Gesicht. Diese Jessica war ja eigentlich doch ganz nett.
In diesem Moment bemerkte Stella ihren Vater, der sich gerade seinen Weg zurück zum Tisch der beiden Mädchen bahnte. Sein Erscheinen löste bei ihr eine Reaktion aus, die wohl nur der verstehen konnte, der die Geschichte ihrer vielen gescheiterten Hoffnungen kannte. Es war weit mehr als nur die Eifersucht gegenüber Jessica, einer vermeintlichen Rivalin ihrer Mutter, die nun Stellas Misstrauen wieder hervorbrechen ließ. Abrupt lehnte sie sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und sagte: »Allerdings habe ich, wie dir mein Vater sicher bereits anvertraut hat, für Sciencefiction nicht viel übrig. Ich glaube nicht, dass Elektra und Lancelot zueinander finden werden.«
Auch Jessica bemerkte nun ihren Mentor. Seltsamerweise schien sie nicht verärgert zu sein über Stellas plötzlichen Stimmungswechsel.
»Wie ich sehe, habt ihr euch gut unterhalten!«
»Über rein technische Dinge. Es ging ums Internet«, erwiderte Stella.
Ihr Vater schüttelte lachend den Kopf. »Es dürfte nahezu unmöglich sein, mit Jessi über etwas anderes zu reden.«
»Ich muss mich jetzt auf den Weg machen«, sagte Jessica unvermittelt. »Hab euch beiden lange genug die Zeit gestohlen.«
Mark wollte widersprechen, aber als er das Gesicht seiner Tochter sah, ließ er es bleiben. Er bedankte sich noch einmal bei Jessica Pollock für deren gute Arbeit und den »netten Abend«. Dann waren Vater und Tochter allein.
»Und was jetzt? Hast du noch Lust, ins Kino zu gehen?«
Stella zögerte mit ihrer Antwort. »Ehrlich gesagt, möchte ich lieber nach Hause.«
»Habe ich mir gedacht. Lass mich noch schnell bezahlen, dann verschwinden wir hier.«
Während der Volvo den Kurfürstendamm hinunterrollte, wechselten Stella und ihr Vater kaum drei Worte miteinander. Als der Wagen dann endlich auf die Stadtautobahn einbog, brach Mark das Schweigen.
»Kannst Jessica Pollock wohl nicht besonders leiden, was?«
Stella blickte ihren Vater kurz von der Seite her an, dann heftete sie ihre Augen wieder auf die Straße. »Hast du was mit ihr?«
Ein auffällig langes Schweigen setzte ein. Stella wollte dies schon als Zustimmung deuten, da aber stotterte ihr Vater: »Ob… ob ich… Du meinst, ob ich mit Jessica Pollock ein Verhältnis habe?«
Wieder drehte sich Stella zu ihrem Vater. »So schwer kann das doch nicht sein, Ja oder Nein zu sagen, Paps. Liebst du diese Jessica?«
Ein lautes Lachen brach aus Mark hervor. »O ja! Ich liebe sie, Sternchen. Sie ist ein Genie. Ich soll ja schon ziemlich gescheit gewesen sein, als ich in Jessicas Alter war, aber sie wird in zwanzig Jahren entweder eine Universität leiten oder als gefürchtetste Hackerin von der Polizei und den Geheimdiensten der ganzen Welt gejagt werden. Dafür liebe ich sie. Aber das hat nichts mit den Gefühlen zu tun, die ich für deine Mutter empfinde, falls es das ist, was du meinst.«
»Und warum kommt Viviane dann nicht mehr nach Hause?«
Marks Lächeln war wie weggewischt. Er starrte mit gläsernem Blick auf die Autobahn. Diesmal dauerte das Schweigen in dem Volvo länger als nur ein paar Sekunden.
Als sie zu Hause angekommen waren, bat Mark seine Tochter in das Wohnzimmer. Stella ließ sich in einen der beiden voluminösen Ledersessel fallen. Mark fragte, ob sie ein Glas kalte Milch trinken wolle. Sie lehnte ab. Also setzte er sich gleich an das Ende der Couch, das ihrem Sessel am nächsten lag. Er zündete als einziges Licht in dem großen Raum eine Kerze an, beugte sich mit auf den Knien gelegten
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