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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Ziehmutter.
    Stella war verblüfft. So viel Eigenleben hatte sie von ihrem Zögling nun wirklich nicht erwartet.
    »In der Schule«, antwortete sie.
    »Was ist eine Schule?«
    »Ein Haus, in dem man viele Dinge lernt… lernen sollte.«
    »Was für Dinge lernt man in der Schule?«
    »Chinesische Philosophie zum Beispiel.«
    »Was ist chinesische Philosophie?«
    »Nach Tim hat Konfuzius gesagt: ›Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu.‹ Das ist chinesische Philosophie.«
    Und so ging es weiter. Draggys Wissensdurst war unstillbar. Nach einer Weile stellte er eine seltsame Frage.
    »Weißt du, wo der Juwelenschatz begraben ist, Stella?«
    Diese Äußerung überraschte Stella gleich aus zwei Gründen.
    Zum einen, weil Draggy sie zum ersten Mal mit ihrem Namen angesprochen hatte, und zum anderen, weil er wirklich meinte, was er sagte. Anders als von ihr zunächst erwartet, wusste der Lindwurm auch nicht, wo sich dieser geheimnisvolle Schatz befand, und nun – und das verwunderte sie noch mehr – ergriff er sogar selbst die Initiative.
    »Dann lass uns den Juwelenschatz suchen.«
    »Aber wo denn?«
    »Wir müssen das erste Schattenwort finden, Stella.«
    »Ein Schattenwort?«
    »Wir müssen das erste Schattenwort finden«, wiederholte Draggy geduldig.
    »Was ist das denn?«
    Wieder kam eine erstaunliche Antwort. Draggy klang nun beinahe selbst wie ein fernöstlicher Philosoph: »Jedes Ding wirft seinen Schatten und ist es auch noch so klein. Willst du es finden, musst du nach seinem Kagee suchen.«
    » Kagee ?«, flüsterte Stella. Bisher hatte sie sich über die Bedeutung dieses sonderbaren Wortes wenig Gedanken gemacht.
    Das empfindliche Mikrofon in ihrem Headset hatte ihr Wispern dennoch aufgefangen und Draggy schien es als Aufforderung zu weiteren Erläuterungen zu deuten.
    »Das Kagee ist ein Schattenbild. Alle Kagee s zusammen sind ein Puzzle. Wenn du sie aneinander fügst, wirst du finden, wonach du suchst.«
    Ein Prickeln lief über Stellas Rücken. »Na, dann schieß mal los, Draggy. Ich schlage vor, du nimmst die Witterung auf und ich folge dir.«
    »Ich habe dich nicht verstanden, Stella. Kannst du deine letzte Aussage in anderen Worten wiederholen?«
    Stella stöhnte vor Ungeduld. »Du Dummerchen, hilf mir bitte. Suche das Kagee .«
    »Ich werde dir helfen, Stella. Komm mit mir.«
    »Draggy, ich glaube, dieser Einfall stammt nicht von dir.«
    »Ich habe dich nicht verstanden, Stella…«
    »Schon gut«, übertönte Stella den Drachen, »such Stöckchen, äh, ich meine, such das Kagee , Draggy. Finde den Schatz.«
    Draggy machte sich auf den Weg. Er verschwand in einem Höhlengang und Stella musste sich beeilen, um das herzförmige Schwanzende nicht aus den Augen zu verlieren. Wie sich schnell herausstellte, war der kleine Drache zwar ein hervorragender Spürhund, wenn es darum ging, über gefährliche Abgründe oder an glühenden Lavaströmen vorbei einen sicheren Pfad zu erkunden, aber beim Lösen einer logischen Aufgabe war dann Stella gefordert.
    Ob durch Zufall oder dank Draggys Führung, einige Minuten später entdeckte Stella eine Steintafel. Der glatt polierte Stein stand aufrecht in einer kleinen Höhle. Zuerst glaubte sie, die eingegrabenen Schriftzeichen darauf seien altertümliche Runen, wie Stella sie aus ihren Sagenbüchern kannte. Aber dann kam sie dahinter, dass es normale Buchstaben waren – besser gesagt, nur deren Schatten und dazu noch durch Weglassung einiger Längs- oder Querbalken entstellt. Aber hatte man das Prinzip erst einmal verstanden, fiel es leicht, das Wort zu entziffern.
    Es bedeutete »Eruption«.
    »Eruption? Was ist das?«, fragte Draggy.
    Stella erklärte es ihm in einfachen Worten, während sie schon überlegte, welchen Hinweis ihr dieser Begriff wohl auf den Juwelenschatz gab.
    Eine Eruption wirft flüssiges Gestein aus dem Innern der Erde an ihre Oberfläche. Es legt also etwas bloß, was zuvor verborgen war. »Wir müssen auf Orte achten, wo die Höhle sich verändert hat!«, kam es ihr mit einem Mal. »Vielleicht durch ein Erdbeben, eher aber durch einen Vulkanausbruch. Draggy, such eine Stelle, wo alles durcheinander geworfen ist. Wo das Unterste zuoberst gekehrt ist.«
    Einmal mehr staunte Stella über Draggys rasche Auffassungsgabe und seinen empfindlichen Spürsinn. Bald hatte er tatsächlich eine riesige Höhle gefunden, aus deren dunstigem Inneren der Kegel eines erloschenen Vulkans aufragte.
    Stella begann sogleich mit der

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