Das Netz der Schattenspiele
ihre kreativen Einfälle haben meinem SKULL-Projekt in den letzten Monaten noch einmal einen gewaltigen Schub gegeben. Ich bin froh Jessica bei mir zu haben.«
Stella erwiderte nichts. Was sollte sie auch dazu sagen?
»Dein Vater und ich haben heute Nachmittag noch über einem kryptoanalytischen Problem gesessen«, ergriff nun Jessica das Wort. Sie ließ sich in keiner Weise anmerken, ob sie Stellas abweisendes Verhalten überhaupt bemerkt hatte, sondern war im Gegenteil ausgesprochen freundlich. »Als es schon nach fünf war, hat Salomon plötzlich auf die Uhr gesehen. Er sagte, er hätte heute einen wichtigen Termin mit dir und wollte auf keinen Fall zu spät kommen. Da wir noch nicht alle Details durchgesprochen hatten, bin ich einfach mit zu euch hinausgekommen. Auf der Fahrt hierher haben wir die restlichen Punkte abgehakt. Ich setze mich jetzt in den nächsten Bus und fahre nach Hause, dann könnt ihr in Ruhe über eure Angelegenheiten sprechen.«
Stella war ganz durcheinander. Woher wusste diese Jessica, dass heute noch eine Familienaussprache auf der Tagesordnung stand? Und wenn sie irgendetwas im Schilde führte – vielleicht wollte sie sich bei ihr einschmeicheln –, warum war sie dann überhaupt an einem Abend hierher gekommen, der unpassender dafür gar nicht hätte sein können? Möglicherweise war sie wirklich nur eine höfliche Studentin, die ihren Vater anhimmelte wie alle anderen auch, und mehr nicht.
Salomon, dem die atmosphärischen Störungen in der Diele nicht entgangen waren, erklärte nun eilig: »Stella und ich wollten heute Abend eigentlich ins Kino und anschließend etwas essen gehen. Wir könnten ja die Reihenfolge einfach umdrehen. Wenn wir alle gemeinsam zum Ku’damm fahren und uns ein nettes Restaurant suchen, dann schlagen wir gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie, Jessi, brauchen nicht mit der BVG quer durch die Stadt zu zuckeln und wir alle bekommen noch etwas Warmes in den Bauch. Ich lade euch selbstverständlich ein. Wie wär’s, ist das ein Angebot?«
Stella hätte am liebsten laut Nein geschrien, aber ein Rest Höflichkeit hielt sie davon zurück. Vielleicht lag es auch an ihrem immer noch zwickenden Gewissen. Immerhin war sie ihrem Vater wegen des entwendeten Spiels einiges schuldig.
Auch Jessica schien zu zögern. Salomon deutete dies als verhaltene Zustimmung und sagte: »Prima, dann schwingen wir uns ins Auto und machen uns auf den Weg.«
Während der Volvo über die Avus zischte, berichtete Salomon weitere Einzelheiten über seine famose Assistentin. Jessica sei ein Computerfreak sondergleichen. Im Internet kenne sie sich aus wie selbst erfahrene Seebären nicht in ihrem eigenen Fischnetz.
Jessica Pollock lachte hin und wieder verlegen, dann malten sich tiefe Grübchen auf ihre Wangen. Das mit der Begabung sei halb so schlimm, versicherte sie Stella. Vielmehr hätte sie allen Grund Salomon dankbar zu sein. Sie betrachte ihn als ihren Mentor. Sie bewundere ihn. Natürlich alles nur auf rein akademischer Ebene.
Natürlich! Stella hätte am liebsten laut gelacht. Also doch ein Fan des gut aussehenden Informatikprofessors. Mit welchem Recht konnte diese Jessica so viel Zeit bei ihrem Vater buchen, ihn sogar noch zu Hause in Beschlag nehmen, wenn sie, Salomons »Sternchen«, kaum einen Termin bei ihm bekam?
Stella war zum Heulen zumute. Jemanden zu haben, auf den man all seinen Zorn projizieren konnte, hatte zwar einiges für sich, aber sie spürte auch, dass mit ihrer Eifersucht etwas nicht stimmte. Nachdem sie so derb aus der Welt des Kagee herausgerissen worden war, hatte sie diese Situation überrollt wie ein Bulldozer.
Salomon schlug für das Abendessen einen Italiener im Europacenter vor. Bald saßen sie zu dritt in einem dämmrigen Lokal. Es war einer der ersten lauen Abende in diesem Jahr. Aus unsichtbaren Lautsprechern plätscherte südländische Musik. Doch irgendwie wollte trotzdem keine rechte Stimmung aufkommen. Stella misstraute dieser auffallend freundlichen Studentin immer noch, und das ließ sie die andere auch deutlich spüren. Warum war diese Jessica gegen alle Provokationen immun? Sie tat ja wirklich so, als wolle sie Stellas Freundschaft gewinnen! Vermutlich hatte ihr noch niemand verraten, wie schwer das war. Zu oft hatte Stella schon Enttäuschungen hinnehmen müssen. Ihr Vertrauen warf sie schließlich nicht wie Werbegeschenke freigiebig unters Volk, um hier und da einen neuen Kunden zu gewinnen.
Für Salomon war die Situation sichtlich
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