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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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Suche. Von der Spitze des Kegels arbeitete sie sich in spiralförmigen Windungen nach unten vor. Draggy gab sie Anweisung, das Geröllfeld vom Rand her zum Vulkan hin zu durchstöbern.
    Diesmal war es der Lindwurm, der das Kagee beziehungsweise dessen Träger fand. Es handelte sich um einen durchsichtigen sechseckigen Kristallfinger, in dem das Schattenwort geschrieben stand.
    Nach und nach arbeiteten sich Stella und ihr emsiger Lindwurm durch das unendliche Höhlenlabyrinth. Als sie schließlich den Juwelenschatz fanden, waren Stunden verstrichen. Doch Stella hatte es überhaupt nicht bemerkt. Ebenso wenig, wie ihr bewusst geworden war, dass sie dem Drachen die ganze Zeit über neue Kenntnisse vermittelt hatte. Ihre Strategien bei der Suche nach den Schattenworten, die Art und Weise, wie sie Informationen erfragte und schwierige Situationen meisterte, all das saugte der Lindwurm auf wie ein trockener Schwamm Wasser aus einem Gefäß.
    Draußen vor dem Fenster verlieh die Sonne den Häusern und Gärten gerade einen letzten Anstrich in warmen Abendfarben, als Stella ihren Magen spürte. Er meldete sich durch ein lautes Knurren. Seit dem Frühstück hatte sie nichts mehr gegessen und es nicht einmal bemerkt.
     
     
    Der Freitag glich dann im Wesentlichen dem vorangegangenen Tag. Stella beschränkte die Unterhaltung mit ihrem Vater am Frühstückstisch auf ein Minimum. Die Schule war für sie eine Tortur. Ihre Gedanken drehten sich nur um einen grünen Lindwurm mit rotem Rückenkamm.
    Kaum zu Hause, saß sie wieder am PC. Heute hatte Draggy eine neue Aufgabe für sie. Es galt, eine gefährliche Bestie zu fangen, die das Höhlenlabyrinth unsicher machte. Wie Draggy glaubhaft versicherte, war das Monster um ein Vielfaches größer als er, spuckte mit Vorliebe ätzende Galle auf jeden, der ihm begegnete, brachte Höhlen zum Einsturz, zerkaute Felsen wie Butterkekse und hatte noch einige andere unangenehme Angewohnheiten. Um das Untier zu besiegen und der Höhlenwelt wieder den Frieden zu schenken, bedurfte es des Einsatzes einiger wirksamer Waffen. Doch diese wiederum konnte man nur durch ein Netz von Schattenworten in seinen Besitz bringen, die zuerst gefunden und dann miteinander in Beziehung gesetzt werden mussten.
    Erneut verbrachte Stella den Nachmittag damit, an der Seite ihres Lindwurms durch die Höhlenwelt zu wandern und nahezu Übermenschliches zu leisten. Die ganze Zeit war ihr dabei dieses Biest auf den Fersen, das entfernt Ähnlichkeit mit einem Tyrannosaurus Rex besaß. Gerade jagte sie wieder durch einen Höhlengang, das Stampfen des Verfolgers im Rücken – die wesentlichen Rüstungsteile zur Erlegung desselben hatte sie bereits beisammen: einen säurebeständigen Schild, einen bissfesten Helm und ein glühendes Schwert, das Saurierpanzer zu durchdringen vermochte –, als ein lautes Klingeln sie hochschrecken ließ.
    Das Geräusch allerdings kam nicht aus den Kopfhörern. Es handelte sich eindeutig um die Türklingel. Stella schob die VR-Brille auf die Stirn und blickte auf die Digitaluhr am Display ihres Telefons. Punkt sechs. Für diese Zeit war sie mit Salomon verabredet! Sollte er etwa pünktlich sein? Aber warum klingelte er dann? Selbst wenn SESAM ihm den Zugang zum Haus verwehrte, hatte er doch noch immer den Hausschlüssel.
    Stella verzog sich mit ihrem Lindwurm in eine kleine Nebenhöhle. Der T-Rex stampfte vorbei. Sie selbst konnte sich jederzeit aus der Welt des Kagee zurückziehen, hatte diese List aber angewandt, um Draggy zu schützen. Der kleine Lindwurm war dem riesigen Wüterich bestimmt nicht gewachsen.
    Schon wieder das Läuten. Es klang besonders ungeduldig, wie Stella fand. Unwillig streifte sie ihre elektronischen Sinneshilfen ab und polterte aus dem Zimmer.
    Als sie in der Diele schwungvoll die Haustür aufriss, sah sie sich einer jungen Frau gegenüber, eigentlich noch einem Mädchen, das kaum älter als sie selbst sein konnte.
    »Hallo, ich bin Jessica Pollock«, ergriff die Fremde sogleich das Wort. Sie trug Bluejeans wie Stella, ein gelbes Poloshirt mit dem Signet einer großen Sportfirma und sah auch sonst so aus, als gehörte sie zum Kader der nächsten Olympiamannschaft.
    »Ich will in kein Fitnessstudio eintreten und fünf Paar Sportschuhe habe ich auch schon«, erwiderte Stella unfreundlich. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass etwas wichtiger sein sollte als die Rettung der Höhlenwelt.
    »Ich bin Mitarbeiterin deines Vaters, wenn ich nicht gerade Informatik und

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