Das Netz der Schattenspiele
»Ist es aber nicht. Wenn du es nicht willst, wirst du überhaupt nicht merken, dass du im Server von CNN steckst. Das Spiel lässt dich nämlich durch eine virtuelle Welt wandern. Der CNN-Computer könnte darin durch eine Stadt dargestellt sein, in deren Katasteramt du dann dein Schattenwort suchst wie eine Eintragung in einem echten Grundstücksverzeichnis.«
»Ist ja irre! Jetzt wird mir so einiges klar.«
»So, was denn?«
Stella sah ihren Vater erschrocken an. Beinahe hätte sie sich verraten. »Ich meine, jetzt begreife ich langsam, wie dein Spiel funktioniert. Wenn ich mir vorstelle, dass die ganze Welt das Spielfeld ist, dann… dann… Mir fehlen die Worte!«
»Ich hoffe, meine Kunden werden genauso reagieren wie du. Kagee hat wirklich einiges zu bieten. Vielleicht ist es irgendwann einmal das Natürlichste von der Welt, sich wie in einem Chat am Abend mit einer Gruppe von Gleichgesinnten zu ›treffen‹, die um den ganzen Globus verteilt sind, und gemeinsam eine Runde Kagee zu spielen. Wenn die Sache einschlägt und erst mal das nötige Kleingeld hereingekommen ist, stehen übrigens noch ein paar andere brauchbare Ideen zur Entwicklung an.«
»So? Was denn?«
»Ich möchte selbst auf jedem Kontinent Server betreiben, die den Spielern verschiedene virtuelle Welten offerieren. Die Computer der Medienkonzerne, Behörden oder Industrieunternehmen gewähren naturgemäß nur eine sehr begrenzte Bewegungsfreiheit. Auf einem eigenen Server könnte man in realistischer Geschwindigkeit phantastische Welten, exotische Städte, mittelalterliche Burgen und vieles mehr verwirklichen, also Spielmöglichkeiten bieten, bei denen jeder normale Heim-PC allein schlapp machen würde.«
»Trotzdem dürfte so mancher mit deinem Spiel überfordert sein. Es ist eben nicht jeder ein Sherlock Holmes.«
Mark lächelte verschmitzt. »Für diesen Fall habe ich mir noch etwas Besonderes ausgedacht.«
»Ach?« Stella ahnte schon, was nun kam.
»Hm, hm. Einen Helfer.«
»Was du nicht sagst!«
»Ja, später einmal soll es unterschiedliche Arten davon geben, vorläufig habe ich mich auf einen Lindwurm beschränkt, einen quirligen kleinen Drachen.«
»Und wozu soll der gut sein?«
»Wie gesagt, er ist ein Helfer. Der Drache ist ein künstliches Wesen mit der natürlichen Begabung, den Weg an schwer zugängliche Orte zu finden, Labyrinthe zu durchschauen, geheime Pfade zu entdecken. Dieses virtuelle Geschöpf befindet sich auf dem neuesten Stand der technologischen Forschung.«
»Deiner Forschung, nehme ich an?«
»So ist es. Ich habe all mein Wissen über künstliche Intelligenz und neuronale Netze in den Lindwurm gepackt. Manchmal kam er selbst mir wie ein echtes Lebewesen vor. Je länger man mit ihm spielt, umso mehr lernt er nämlich von seinem Herrchen…«
»Oder Frauchen.«
»Natürlich. Außerdem steckt einiges von meinem SKULL-Testprogramm in dem Drachen.«
»Und das heißt?«
»Der Kleine ist so eine Art Überhacker. Er benutzt alle möglichen Tricks, um seine Schattenworte im Internet an Orten zu verstecken, die sonst niemandem zugänglich sind.«
»Ist denn das legal?«
»Aus der endgültigen Fassung werde ich natürlich alles herausnehmen, was irgendwie als kriminell angesehen werden könnte. Momentan habe ich einfach große Strecken vom Programmcode des SKULL-Testers in den Prototypen übertragen.«
»Dieser Lindwurm muss ja wirklich ein richtiger Superschnüffler sein!«
»In seiner jetzigen Form birgt das Spiel sogar noch eine besondere Überraschung. Ich will den Kollegen an der TU damit einen kleinen Streich spielen. Das ist jetzt aber wirklich geheim, du darfst niemandem davon etwas verraten, hörst du?«
»Natürlich nicht.« Stella konnte gar nicht glauben, wie ungezwungen ihr Vater plötzlich mit ihr plauderte.
»Sobald ich die ›kastrierte‹ Fassung fertig habe, darfst du sie als Erste ausprobieren.«
Das Angebot ihres Vaters brachte Stella zu Bewusstsein, wie unfair sie sich ihm gegenüber benahm. Er sprach ganz offen über Dinge, die er so lange als wertvollste Geheimnisse betrachtet hatte, und sie verschwieg ihm immer noch, wie sie vor zwei Tagen sein Chaos durchstöbert und sich den Datenträger »ausgeliehen« hatte. Vermutlich hätte sie ihr Schuldgefühl durch ein paar aufrichtige Worte aus der Welt schaffen können, doch eine derartige Vertrautheit war ungewohnt für sie und deshalb reagierte sie grober als gewollt. »Du hast mich ja schon immer als dein Versuchskaninchen
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