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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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aus, zählte im Stillen bis zehn – die Zeit, in der sich alle »verhedderten« Daten in ihrem Rechner mit Sicherheit verflüchtigen würden – und betätigte den Netzschalter erneut. Der PC bootete in der gewohnten Weise, zum ersten Mal seit einer Woche.
    Als das Betriebssystem geladen war, suchte Stella sogleich nach dem Kagee.
    Es war verschwunden.
    Zuerst glaubte sie an einen Fehler. Immerhin hatte sie ihre Festplatte nach der Installation des Spieles nicht mehr durchgecheckt. Vielleicht war ihr nur der Name des Verzeichnisses entfallen, unter dem sie die Programme abgespeichert hatte. Erst suchte sie noch an verschiedenen Stellen herum, startete dann – im Grunde hatte sie schon resigniert – das Programm Roomancer und gab dem virtuellen Hund Basset den Auftrag nach dem Kagee zu fahnden.
    »Blöde Töle«, kommentierte Stella verärgert die ergebnislose Rückkehr des elektronischen Schnüffeltiers. Basset hatte auch nichts finden können. »Solltest mal einige Tage bei Draggy in die Schule gehen.«
    Bis zum Abend hatte Stella sich hinreichend den Kopf zermartert, was nur geschehen sein konnte. Ihr war noch ein spezielles Utility eingefallen – ein Programm, mit dem man jedes Bit ihrer Festplatten durchforschen konnte –, aber auch diese Suchhilfe lieferte ein »Null-Ergebnis«, wie Salomon es ausgedrückt hätte.
     
     
    Als Mark am späten Nachmittag mit Unterstützung eines sehr kooperativen SESAM ins Haus geschneit kam, traf er Stella in einem seltsamen Zustand an. Seine Tochter fiel ihm um den Hals und küsste ihn auf die Wange, was nicht gerade zu ihren alltäglichen Übungen gehörte. Ständig wich sie dann seinen Blicken aus, bot ihm aber dennoch eine Portion Grünkernbuletten an, die sie eigenhändig für ihn in die Mikrowelle schieben wollte. Er nahm verwirrt an.
    Nachdem sie ihm das Gericht serviert hatte, ließ sie sich am entferntesten Ende des Esstisches nieder und beobachtete ihn, wie eine Antilope dem Löwen beim Verspeisen einer ihrer Artgenossinnen zusehen würde. Sie sagte kein Wort.
    Stella hätte sich gerne mit ihrem Vater unterhalten, aber jetzt, wo die verbotene Frucht des Kagee- Spieles so schnell madig geworden war, schlug das schlechte Gewissen wie eine Tsunami-Welle über ihr zusammen.
    Vielleicht war er ihr sogar dankbar, wenn sie ihn auf den Programmierfehler im Kagee hinwies. Kein Softwarehersteller möchte seinen Kunden einen Rechnerabsturz zumuten, und schon gar nicht so einen scheußlichen, wie Stella ihn erlebt hatte. Und wenn sich dann auch noch die eingekaufte Ware – das Kagee- Spiel – von selbst verflüchtigte, musste das doppelt peinlich sein.
    All das war ihr bewusst, aber wie konnte sie ihn auf diese Mängel aufmerksam machen, ohne ihre eigene Charakterschwäche zu offenbaren? Sie hätte die offene Tür ins Chaos einfach ignorieren müssen, anstatt das Vertrauen ihres Vaters zu missbrauchen. Mehr noch: Sie hätte die Tür schließen sollen, ohne auch nur einen einzigen Blick in das verbotene Reich Salomons zu werfen. Leider hatte sie weder das eine noch das andere getan.
    Vielleicht fand er den Fehler ja selbst, beruhigte Stella ihre innere Stimme. Irgendwann würde sie ihm den Fehltritt beichten, aber nicht jetzt. Ihr Verhältnis begann sich gerade zu entspannen. Sie wollte diese Entwicklung nicht dadurch gefährden, dass sie ihm zeigte, was für ein hinterhältiges Biest seine Tochter war.
    »Ist alles in Ordnung, Sternchen?« Stella zuckte zusammen. »Was?«
    »Du siehst irgendwie bedrückt aus. Aber vielleicht ist das nicht das richtige Wort. Ich werde nicht ganz schlau aus dir.«
    »Ich wünschte, ich würde es.«
    »Wie bitte?«
    »Ach, ich möchte im Augenblick nicht darüber sprechen.«
    »Hoffentlich ist es kein Liebeskummer.«
    »Papa! Jetzt hör endlich auf. Ich muss mir über die Sache erst mal selbst richtig klar werden. Vielleicht möchte ich dann drüber reden.«
    Sie wich dem forschenden Blick ihres Vater aus. »Na gut«, meinte dieser schließlich. »Wusstest du eigentlich, dass du mehr mit deiner Mutter gemein hast, als man auf den ersten Blick vermuten könnte?«
    Stella hob unschlüssig die Schultern. »Kann schon sein.«
    »Würdest du vielleicht mit… mit einer anderen Frau lieber über dein Problem reden?«
    »Etwa mit Jessica Pollock?«
    »Zum Beispiel.«
    »Wer sagt denn, dass ich überhaupt ein Problem habe?«
    »Ich.«
    »Darf ich jetzt auf mein Zimmer gehen?«
    »Komisch, dass du mich danach fragst. Aber meinetwegen. Ich hätte nur

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