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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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afrikanischen Stammessprachen, einem Schuss Chinesisch und einer Prise Navajo klang. Dazwischen verfielen die beiden immer wieder in lautes Gekicher über die eigenen Wortungetüme.
    Von dem erhöhten Geräuschpegel angelockt, tauchte unvermittelt Salomon in der Tür auf.
    »Na, ihr beiden scheint euch ja prächtig zu amüsieren. Schön, dass ihr euch angefreundet habt!«
    Stella hatte ihren Vater gar nicht kommen hören. Erschrocken fuhr sie herum. Salomons Bemerkung weckte in ihr sogleich wieder alte Befürchtungen. Warum war er nur so erpicht darauf, seine Tochter mit dieser Studentin zusammenzubringen? Jessica Pollock als Freundin, vielleicht sogar als Schwester, konnte sich Stella ja noch vorstellen – aber als Stiefmutter bestimmt nicht!
    Mit einem Mal wurde ihr bewusst, wie ungezwungen sie mit dieser möglichen Rivalin ihrer Mutter geplaudert und gelacht hatte. Sie fühlte sich wie eine Verräterin. Ganz automatisch – Stella konnte sich nicht dagegen wehren – fiel der Vorhang. Ende der Vorstellung! Auf eine solche Freundin konnte sie gerade noch verzichten.
    »Ich möchte jetzt schlafen gehen.«
    Stellas Worte klangen kühl und distanziert. Ihr plötzlicher Sinneswandel stieß diesmal sogar Jessica vor den Kopf. Sie verabschiedete sich – freundlich, aber ernst. Salomon bot sich an, sie nach Hause zu fahren, sie lehnte ab.
    Wenig später lag Stella in ihrem Bett. Ihr Gesicht war im Kopfkissen vergraben, damit Salomon nicht hören konnte, wie sie weinte. Sie hasste sich für das, was sie getan hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit war da jemand gewesen, zu dem sie so etwas wie Zutrauen empfunden hatte, und sie hatte nichts Besseres gewusst, als diesen Menschen zu verletzen. Warum konnte sie nur niemandem vertrauen? Jessica Pollock hatte doch wirklich lange genug ihre Launen ertragen! Aber heute war Stella einen Schritt zu weit gegangen. Nie konnte sie etwas richtig machen. Immer machte sie nur alles kaputt!
     
     
    Der Rest der Woche war für Stella eine einzige Tortur. Unzufrieden mit sich selbst, ließ sie Salomon ihre schlechte Laune spüren. Obwohl die Abenteuer des Kagee -Spiels nun der Vergangenheit angehörten, konnte sie sich trotzdem nicht konzentrieren. Verbotene Früchte schmeckten zwar bekanntermaßen immer besonders süß, aber mit welchen Bauchschmerzen man deren reichlichen Verzehr bezahlen musste, das hatte ihr niemand verraten. Und das Schlimmste, man konnte sein Leiden mit niemandem teilen! Salomon wusste noch immer nichts vom heimlichen Beutezug seiner Tochter.
    Außerdem wollte sich Stella einfach nicht damit abfinden, dass ihr bisher aufregendstes Spiel einfach in einem bodenlosen Datenloch verschwunden war. Tagelang dachte sie über die Worte ihres Vaters nach. In dem Programm steckte mehr, als legalerweise ein am Ladentisch erhältliches Spiel enthalten durfte, so viel stand fest. Salomon hatte davon gesprochen, Kagee noch zu ›kastrieren‹. In der momentanen Fassung sollte es den Kollegen an der Uni eine ›besondere Überraschung‹ bescheren. Leider hatte er nicht gesagt, worin dieses Aha-Erlebnis bestehen sollte. Dass es sich einfach selbst auflöste, darin doch wohl ganz bestimmt nicht. Der Verdacht drängte sich Stella auf, dass vor gut einer Woche auf ihrem PC vielleicht mehr geschehen sein könnte als nur die Verflüchtigung des Kagee ins virtuelle Nirwana.
    Derart verunsichert, war Stella nahezu unempfänglich für jegliche Reize der Außenwelt. Tim Schröder – er hatte sie ein-, zweimal in ein Gespräch verwickeln wollen – nahm sie überhaupt nicht wahr. Selbst ihren Lehrern entging die »Entrücktheit« der Kalder-Tochter nicht. Den meisten von ihnen erschien es übertrieben, deshalb gleich ein klärendes Gespräch mit Stellas Eltern zu suchen, hingegen machte sich die Englischlehrerin sogar ernstlich Sorgen um das Mädchen.
    Stella war eine durchaus gute Schülerin, aber weder in positiver noch negativer Hinsicht bisher besonders aufgefallen. Mit Ausnahme des Faches Englisch. Das hing mit ihrem Lebenslauf zusammen. Sie war vor sechzehn Jahren in Kalifornien geboren worden, sprach aber einen ausgeprägten Neu-England-Dialekt, den sie von ihrer Mutter übernommen hatte.
    Vivianes Eltern waren kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges nach Amerika ausgewandert. Großvater hatte damals zu den angesehensten Juristen in Deutschland gehört. Als das Recht im Deutschen Reich jedoch immer mehr in die politische Zwangsjacke der Nazis gepresst wurde, entschloss er sich,

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