Das Netz der Schattenspiele
eine Bitte, Sternchen.«
Stella seufzte. »Und die wäre?«
»Ich glaube, ich habe dir am Freitagabend gezeigt, wie ernst ich es mit unserer neuen Offenheit meine. Es wäre schön, wenn auch du irgendwann deinen Teil dazu beitragen könntest.«
Stella fühlte sich in ihrer Haut unwohl wie in einer Zwangsjacke. »Ich hab dir doch gesagt, ich brauche nur etwas mehr Zeit.«
»Ist ja schon gut, Sternchen. Ich will dich nicht drängen.« Salomon führte die gefüllte Gabel zum Mund, ließ sie dann aber in der Luft hängen. »Ach übrigens, genau in sieben Wochen fliegen wir in die Staaten. Ich habe heute für uns zwei Tickets gebucht. Und drei für den Flug zurück.«
In den folgenden Tagen litt Stella unter einem Anfall schwerer Verwirrtheit. Das hing einerseits mit dem tragischen Verlust Draggys zusammen, andererseits mit Salomons verändertem Verhalten.
Ihr Vater schien seine guten Vorsätze für die Zukunft wirklich ernst zu nehmen. Die Flugtickets – gewissermaßen der papierne Beweis dafür, Viviane zur Rückkehr in den Schoß der Familie zu bewegen – waren nur ein Indiz. Er gab sich auch sonst alle Mühe, in seinem engen Tagesprogramm genügend Freiräume für Stella zu schaffen. Seine Fürsorge ging ihr bisweilen sogar ziemlich auf die Nerven. So auch am Donnerstagabend, als er wieder diese Studentin mit nach Hause brachte.
»Salomon meinte, dein Bedürfnis, mit einem anderen weiblichen Wesen zu sprechen, sei möglicherweise intensiver, als du es selbst zugeben willst«, erklärte Jessica Pollock schmunzelnd.
Sie saßen gemeinsam in Stellas Zimmer. Salomon war taktvoll unten im Wohnzimmer geblieben. Stella konnte sich dem anderen Mädchen gegenüber noch immer nicht ungezwungen geben, so nett es auch war.
»Dann bist du jetzt also doch zur Psychoanalytikerin mutiert.«
Jessica tippte nachdenklich mit dem Zeigefinger auf die Kuhle an ihrem Kinn. Gleichzeitig sah sie Stella durchdringend an. »Dein Vater scheint sich in letzter Zeit verändert zu haben. Er wirkt bei der Arbeit oft abwesend. Vorgestern hat er mir gebeichtet, dass er nur noch bis zum Ende des Semesters sein normales Vorlesungsprogramm durchziehen will. Danach will er sich, abgesehen von ein paar gelegentlichen Stippvisiten, von der Uni fern halten. Ich bin beinahe vom Schemel gefallen, als ich das gehört habe.«
Stella wusste nicht, ob sie Jessica bedauern oder sich über die Rückzugspläne ihres Vaters freuen sollte. »Das ist sicher ein harter Schlag für dich.«
»Dein Vater ist mein Mentor. Ich habe ihm sehr viel zu verdanken. Er will sich persönlich um einen neuen Betreuer für mich kümmern, und bei meiner Dissertation will er mir auch helfen – nicht ganz uneigennützig, wie er mir gestanden hat.«
Stella wurde hellhörig. »So?«
»Ja. Salomon hat mir erzählt, er beabsichtige, ein Softwareunternehmen zu gründen, um seine Forschungsergebnisse der letzten Jahre kommerziell zu nutzen. Hierfür braucht er noch freie Mitarbeiter.«
»Und da hat er natürlich an dich gedacht.« Stellas Misstrauen flammte wieder auf. Dabei würdigte sie die Tatsache mit keinem Gedanken, von Salomon als Erste in dessen Zukunftspläne eingeweiht worden zu sein. Vielmehr erfüllte es sie mit neuer Eifersucht, dieses Geheimnis nun mit Jessica Pollock teilen zu müssen. Wer war denn diese Studentin, die gerade ihre ersten Semester absolviert hatte, dass sie ihr Vater so ins Vertrauen zog? Sie selbst hatte sechzehn Lebensjahre darauf warten müssen, Jessica Pollock dagegen nur ein paar Monate.
Jessica war Stellas spitze Antwort nicht entgangen. Um die Unterhaltung auf weniger gefährliches Terrain zu bringen, sagte sie: »Eigentlich wollten wir ja nicht über mich sprechen, sondern über dich.«
»Das kannst du dir sparen«, schnaubte Stella. »Salomon denkt, ich hätte Liebeskummer oder so was. Alles Quatsch!«
»Salomon ist zwar ein Mann und damit von Natur aus etwas kurzsichtig, was die Gefühle von uns Frauen betrifft, aber er scheint mir nicht blind zu sein. Irgendetwas beschäftigt dich doch.«
»Vielleicht.«
»Du willst nicht darüber reden.«
»Erraten.«
Jessica nickte. »Ich kenne das. Trotzdem, irgendwann hast du vielleicht doch das Bedürfnis dazu. Dann ruf mich eben an, wenn du willst, oder klink dich bei Black Sun ein.«
Stella runzelte die Stirn. »Black Sun?«
»Das Chat, dessen Adresse ich dir neulich aufgeschrieben habe.«
Der Zettel mit der Internetadresse steckte noch in Stellas Hosentasche. Ihre Röhrenjeans
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