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Das Netz der Schattenspiele

Titel: Das Netz der Schattenspiele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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fröhlich. Er saß auf einem Sessel im Wohnzimmer. Stella hatte die Ledercouch in Beschlag genommen.
    »Wenn es darum geht, dass du die Beamten und mich von deinem Zimmer aus belauscht hast – vergiss es.«
    Stellas Kinnlade klappte herunter. »Das hast du bemerkt?«
    »Als ich den Fernseher ausschaltete, ist mir am Telefon die Leuchtdiode der Freisprecheinrichtung aufgefallen. Aber ich dachte mir, du hättest ein Recht zu erfahren, was der BND von mir will.«
    »Das meinte ich auch. Trotzdem…«
    »Ich bin dir nicht böse, Sternchen.«
    »Nein, darum geht es ja gar nicht«, brach es mit einem Mal aus Stella heraus. Ihre Augen wurden feucht. Wenn ihr Vater nur wüsste, wie schwer es ihr fiel auszusprechen, was ihr auf der Seele lag. Doch es musste endlich heraus.
    »Ich habe dich belogen.«
    Er kam zur Couch herüber, setzte sich neben sie und sah sie forschend an. »Belogen? Es fällt mir schwer, das zu glauben. Ist etwas passiert? Hast du irgendwas ausgefressen?«
    Jetzt, da der Anfang einmal gemacht war, war es leichter zu reden. Immerhin war ihr Vater nicht gleich aus der Haut gefahren. »Genau genommen war es keine richtige Lüge. Ich habe dir eher etwas verschwiegen«, nuschelte sie.
    Als Salomon nichts erwiderte, sondern sie nur erwartungsvoll ansah, setzte sie zu einer umfassenden Erklärung an. Sie berichtete ihm, wie sie die offene Tür zum Chaos bemerkt, dann die MO-Disk mit dem Kagee entdeckt und zuletzt das Spiel ausprobiert hatte. Jede einzelne Episode aus der Höhlenwelt erzählte sie so detailgetreu, wie es ihr Gedächtnis zuließ, und sie hatte dabei den Eindruck, dass ihr Vater eher fasziniert war von dem Spielverlauf als verärgert über den Streich seiner Tochter. Als sie schließlich beim jähen Ende ihres Abenteuers angelangt war, entstand ein längeres Schweigen.
    Stella fühlte sich auf eine schwer zu beschreibende Weise erleichtert. Wenigstens hatte sie ihre Schuld jetzt eingestanden. Obwohl dadurch eine schwere Last von ihr genommen war, bedrückten sie aber immer noch die furchtbaren Folgen der Computerunfälle. Der Gedanke, die Verantwortung für all das tragen zu müssen, lastete wie ein Granitfelsen auf ihrem Herzen. Ihre Hände begannen zu zittern und dann brach ein Strom von Tränen aus ihr hervor und mit ihnen Stellas ganzer Kummer.
    Salomon legte einen Arm um sie. Er tat es ein wenig unbeholfen. Zu lange schon hatte er seine Gefühle unter einem Berg von Arbeit begraben. Doch jetzt musste er etwas tun, etwas sagen. Er wusste momentan nur nicht, wie er beginnen sollte.
    Für Stella war sein Schweigen schmerzlicher als das schlimmste Donnerwetter. Nicht dass sie ihre Schuld abstreiten wollte. Es war ihr völlig einerlei, ob Salomon ihr eine drakonische Strafe aufbrummte. Klar, sie durfte nicht ungeschoren davonkommen. Erwartungsvoll, mit bebenden Lippen blickte sie zu ihrem Vater auf. Doch der hielt sie nur fest und sah sie an, in seinen Augen lag ein schmerzlicher Ausdruck.
    Schließlich hielt Stella es nicht mehr aus. »Warum sagst du nichts, Paps? Willst du nicht aus der Haut fahren oder wenigstens ein bisschen herumschreien? Es ist so furchtbar, was ich getan habe. Ich verdiene doch eine Bestrafung, oder etwa nicht?«
    Endlich gelang es Salomon zu sprechen. Zu Stellas Verwunderung antwortete er ohne jeden Zorn in der Stimme. »Was schlägst du denn vor, Sternchen? Soll ich dich übers Knie legen und dir den Hintern versohlen?«
    »Das weiß ich doch nicht. Du bist doch der Vater.«
    »Du hast von mir nur ein einziges Mal in deinem Leben einen Klaps auf den Allerwertesten bekommen. Da warst du ungefähr ein Jahr alt und im Krabbeln schon sehr geschickt. Irgendwie war es dir gelungen, in mein Arbeitszimmer zu schlüpfen und die unterste Reihe von meinem Bücherregal umzugestalten. Dabei hast du ein Zweihundert-Dollar-Buch in seine Bestandteile zerlegt. Ich war für einen Moment ziemlich aufgebracht. Und weil ich keine Möglichkeit sah, dir mit guten Argumenten beizukommen, habe ich mich kurzerhand für die autoritäre Schiene entschieden.«
    »Du hast mich geschlagen?«
    »Nur einmal.«
    »Also, davon hast du mir nie erzählt.« Eigentlich konnte sich Stella ihren Vater überhaupt nicht in der Rolle des Wüterichs vorstellen. Er und Viviane gehörten eher zu den Nachzüglern der 68-er Generation. Dem damaligen Lebensgefühl entsprechend, hatten sie die antiautoritäre Erziehung zelebriert. Stella durfte ihre Eltern lange Zeit nur mit Vornamen anreden. Erst in späteren Jahren

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