Das Netz der Schattenspiele
wurden diese Umgangsregeln etwas gelockert.
»Vielleicht weil ich keine Schwäche offenbaren wollte«, gestand Salomon ein. »Im Übrigen hattest du damals einen dicken Windelpo. Der Klaps war für dich mehr ein psychologisches Signal als ein physisches. Du hast eine Minute lang geschrien und später nie mehr meine Regale umgeräumt.«
»Ein Buch kann man ersetzen, aber ein Menschenleben nicht.«
Salomon sah Stella erschrocken an. »Was redest du da?«
»Na, die Frau in Südafrika. Die mit dem Allergieschock. Mir ist, als hätte ich sie mit eigenen Händen umgebracht.« Neue Tränen begannen zu fließen.
Salomon drückte seine Tochter wieder enger an sich. Nun war der Bann gebrochen. Sanft, als würde er eine heilende Salbe auf ihre wunde Seele auftragen, redete er auf sie ein. »Sternchen! Das darfst du auf keinen Fall denken. Das Kagee ist ein Spiel. Es kann keine Menschen töten. Zugegeben, ich habe diese Version ein wenig manipuliert, aber denk doch einmal nach: Hinter dem Vorfall in Südafrika steckt Überlegung und wohl auch eine Menge Arglist. Dazu wäre das Kagee niemals fähig, also trifft dich auch keine Schuld.«
»Aber irgendwie hat das Kagee ja doch mit alldem zu tun«, schniefte Stella, nun schon etwas ruhiger.
»Nein, Stella. Schlag dir diesen Gedanken aus dem Kopf. Es muss eine Person oder auch eine Gruppe hinter diesen Geschehnissen stehen, jemand, der die Unglücksfälle ganz bewusst geplant oder zumindest in Kauf genommen hat. Vielleicht eine Bande von kriminellen Hackern. Auf keinen Fall trifft dich die Schuld. Selbst wenn das Kagee durch dich in die Hände irgendwelcher Terroristen gelangt sein sollte, kannst du nicht für die Computerunfälle verantwortlich gemacht werden. Stell dir vor, ein Amokläufer bringt mit einem Küchenmesser Dutzende von Leuten um. Dann kann man doch auch nicht den Messerhersteller dafür zur Rechenschaft ziehen.«
»Das sagen die Panzer- und Raketenfabrikanten auch immer.«
Salomon schüttelte energisch den Kopf. »Damit magst du Recht haben, aber dein Vergleich hinkt trotzdem. Panzer werden zum Töten konstruiert und gebaut, Küchenmesser nicht.«
»Du hast selbst behauptet, dein SKULL-Tester könne jedes Sicherheitssystem überwinden.«
»Ja, aber ich sage es für dich gerne noch einmal: Er enthält keinerlei Code, der Schaden anrichten kann. SKULL selbst wäre dazu fähig, weil es den Computer eines Angreifers nachhaltig lahm legen kann, aber der Tester, um den es hier geht, ist eher eine Art Generalschlüssel, wie ihn jeder große Schlüsselservice verwendet. Es wurde schon manches Menschenleben gerettet, weil so ein Schlüsseldienst noch rechtzeitig ein Sicherheitsschloss aufgebracht hat. Wenn jemand die Spezialwerkzeuge dieser Firmen missbraucht und damit Unfug anstellt, dann ist nicht der Hersteller daran schuld.«
»Vielleicht doch, wenn der Schlüsseldienst leichtfertig mit seinem Werkzeug umgeht?«
Salomon schluckte. »Um den Vergleich auf den Punkt zu bringen: Fahrlässig habe höchstens ich gehandelt, als ich aus dem Haus stürzte, ohne den Datenträger und das Chaos zu sichern. Ich allein muss damit fertig werden, Sternchen. Dein Vergehen ist ganz anderer Natur. Du hast mich zwar hintergangen, was ich keineswegs beschönigen will, doch ich denke, wir können diesmal auf den Klaps verzichten. Du bist schon hart genug gestraft mit deinen Selbstvorwürfen. Außerdem hättest du gewiss nicht so gehandelt, wenn nicht mir zuvor einige unentschuldbare Fehler unterlaufen wären.«
Stella wischte sich die Tränen von den Wangen. »Und was willst du jetzt tun, Paps?«
Salomon holte tief Luft. »Ich werde diesen Reithammer vom BSI und seinen BND-Kollegen anrufen und ihnen sagen, dass sie auf mich zählen können.«
»Das Spiel hat genauso reagiert wie vorgesehen. Nach der Lernphase hat es sich ins Web abgesetzt. Unglücklicherweise hatte ich die Beschränkung der IP-Nummern auf das Campusnetz der TU noch nicht eingegeben. Deshalb kann das Spiel jetzt überall im Internet stecken.«
Montagnachmittag, fünf Uhr. Es war ein herrlicher Junitag, viel zu sonnig, um düstere Probleme zu wälzen. Mark, Stella, Hartmann und Reithammer saßen um den Esstisch der Kalder-Villa herum. Um die Hitze auszusperren, hatte Stellas Vater die hölzernen Fensterläden zugeklappt. Im Zimmer herrschten eine erträgliche Temperatur und Dämmerstimmung, denn Mark hatte gewohnheitsmäßig kein Licht eingeschaltet.
Soeben hatte er den Beamten vom Bundesnachrichtendienst und
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