Das Netz der Schattenspiele
Ledermäppchen, vermutlich einen Ausweis, den er Salomon gezeigt hatte.
»Hier entlang bitte. Ich war gerade beim Frühstück. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, gehen wir ins Esszimmer, dann kann ich meine Mahlzeit beenden, während Sie mir in knappen Worten den Zweck Ihres Besuches erklären.«
Stella musste insgeheim lächeln. Nun wussten die Beamten, dass sie sich kurz fassen sollten. Um nicht gesehen zu werden, zog sie sich in Richtung Küche zurück. Als sie die Anrichte mit dem noch eingeschalteten Fernseher passierte, fiel ihr Blick auf das Telefon (Salomon hatte so gut wie jedes Zimmer im Haus verkabelt). Ehe sie den Gedanken klar fassen konnte, hatte sie schon die Freisprecheinrichtung aktiviert und den Apparat in ihrem Zimmer angewählt. Dann verschwand sie ungesehen in die Küche.
Während Salomon den Besuchern einen Platz anbot, huschte Stella durch den Nebenflur in die Diele zurück. Von dort eilte sie die Treppe hinauf, stürzte in ihr Zimmer und riss den Hörer des klingelnden Telefons von der Gabel. Sie hob die Hörmuschel ans Ohr und drückte gleichzeitig die Stummschaltung am Telefon – jetzt konnten keine verräterischen Geräusche mehr aus ihrem Zimmer nach unten dringen.
»… Ihre Tochter?«, vernahm sie gerade noch das Ende einer an Salomon gerichteten Frage.
»Vermutlich oben in ihrem Zimmer«, antwortete der. Den Fernseher hatte er offenbar ausgeschaltet, denn Stella konnte das Gespräch ohne Hintergrundgeräusche mitverfolgen. »Also, Herr Reithammer, kommen Sie zur Sache.«
»Gern«, antwortete der Angesprochene verbindlich. »Sie haben höchstwahrscheinlich die Nachrichten über die Computerzwischenfälle der letzten Tage mitbekommen.«
»Darauf brauche ich wohl nicht zu antworten.«
»Nein.« Ein amüsiertes Schnaufen. »So wie ich Sie einschätze, scheinen Sie Wert darauf zu legen, dass wir nicht lange um den heißen Brei herumreden, Professor Kalder.«
»Sie besitzen eine gute Menschenkenntnis, Herr Reithammer.«
»Dann lassen Sie mich Ihnen sagen, der Bundesnachrichtendienst geht davon aus, dass Sie mit diesen Vorfällen in Verbindung stehen.«
Nun gab es eine längere Pause, während der sich Stella vorzustellen versuchte, was gerade im Esszimmer geschah. Vermutlich würden die ausdruckslosen Gesichter von Reithammer und Hartmann im Mienenspiel ihres Vaters gerade nach belastenden Spuren suchen. Vielleicht grinsten die Beamten auch siegesgewiss. Salomon dürfte jetzt jedenfalls kalkweiß geworden sein – seine übliche Reaktion in solchen Situationen. Danach pflegte er rot anzulaufen, etwa zehn Sekunden lang. Und dann…
»Ich wusste ja schon immer, dass der BND eine infame Bande ist, aber das hätte ich einer Bundesbehörde nun wirklich nicht zugetraut. Sie…«
Ja, stellte Stella mit Genugtuung fest, genau das hatte sie erwartet.
»Bitte beruhigen Sie sich doch, Professor Kalder«, fiel eine näselnde Stimme dem erregten Wissenschaftler ins Wort, die nur Hartmann, dem zweiten Beamten, gehören konnte. »Mein Kollege hat ja nicht gesagt, Sie selbst seien der Verursacher dieser terroristischen Anschläge…«
»Terroristische Anschläge? Was für terroristische Anschläge denn?«
»Für gerade solche halten wir diese seltsamen Vorfälle der letzten Tage, Professor.«
»Und Sie glauben, ich hätte etwas damit zu tun?«
»Wie Sie sich erinnern werden, sind wir mit Ihrer Forschungsarbeit durchaus vertraut«, setzte nun wieder Reithammers Stimme ein.
»Selbstverständlich«, erwiderte Salomon bitter. »Aber ich hatte gehofft, der BND sei sich zuletzt darüber klar geworden, dass er von mir keine Unterstützung erwarten darf.«
»Dessen sind wir uns bewusst, Professor Kalder. Im Übrigen darf ich Ihnen mitteilen, dass ich eigentlich zum Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik gehöre. Ich bin nur während dieser aktuellen Krisensituation an den BND ausgeliehen.«
»Das ist doch völlig egal«, herrschte Salomon den Beamten an. »Ob BND oder BSI, letzten Endes geht es Ihnen doch allen nur darum, wie Sie an die Daten unbescholtener Bürger herankommen.«
»Tun Sie uns nicht unrecht«, verteidigte sich der Bayer. Er klang gekränkt »Wenn wir einen Lauschangriff starten, dann dient er dem Zweck der Strafverfolgung und -vereitelung. Die organisierte Kriminalität bedient sich heute der neuesten Technik – auch der Informationstechnik. Ermittlungsbehörden in einem Rechtsstaat haben es auch ohne die Umtriebe von Verschlüsselungsbefürwortern schwer genug, mit
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