Das Netz der Schattenspiele
ihrem »Auszug« erheblich besser gestellt, die Reisetaschen mit geradezu fürstlichen Reichtümern gefüllt (vom Inhalt der diversen Aluminiumkoffer gar nicht zu sprechen). Obwohl, das hatte Salomon ihr eindringlich klargemacht, die nun drohende Katastrophe jene schrecklichen Naturereignisse in mancher Hinsicht übertreffen konnte.
Um vier Uhr dreißig morgens klingelte der Wecker. Sie hatten in der vergangenen Nacht kaum geschlafen. Als für Salomon feststand, dass die Drohung eines weltweiten Zusammenbruchs sämtlicher Computersysteme durchaus real war – die Beamten hatten Analysen über die Ausbreitung der Zwischenfälle und die »Zerstörungsprofile« der kollabierten Systeme vorgelegt –, hatte er keine Sekunde mehr gezögert.
Nun waren zig Dinge gleichzeitig zu erledigen, das Packen der Reisetaschen gehörte dabei eher zu den Nebensächlichkeiten: Viviane musste informiert, die TU-Verwaltung unterrichtet, die Schule verständigt und die Haushälterin Martha benachrichtigt werden; außerdem waren Termine zu verschieben und anstehende Warenlieferungen umzudirigieren. Zu guter Letzt – und das stand im krassen Gegensatz zum spärlichen Inhalt der Reisetaschen – musste noch die halbe Einrichtung des Chaos verpackt werden. Salomon wählte zwei Notebook-Computer aus, einen mobilen Drucker, ein Iridium-Telefon, mit dem man weltweit über Satellit kommunizieren konnte, mehrere undefinierbare Plastikboxen mit Leuchtdioden und Kabelanschlüssen, Kopfhörer, ein Mikrofon, sogar Werkzeug und einiges andere Equipment. Dazu gesellten sich Disketten, CD-ROMs, magnetooptische Disks, kleine Magnetbandkassetten und, Stella konnte es kaum fassen, tatsächlich auch einige Bücher aus echtem Papier.
Hartmann und Reithammer hatten die volle Unterstützung der deutschen Behörden zugesagt, angefangen von der Schulbefreiung Stellas – gewissermaßen vorgezogene Sommerferien – bis hin zu den Formalitäten bei der Ausfuhr von Marks elektronischer Spezialausrüstung. Dasselbe Zuvorkommen dürften die Kalders von den amerikanischen Immigrations- und Zollbeamten erwarten, versicherte Friedman. Er betonte ausdrücklich, wie sehr man die Kooperationsbereitschaft Mark Kalders als angesehenem Experten für Computersicherheit schätze. Es ginge auf keinen Fall darum, von Salomon irgendeine Art von Wiedergutmachung zu verlangen, weil da vielleicht gewisse Zusammenhänge zwischen der von ihm entwickelten Software und den Computervorfällen bestünden. Stellas Vater dachte zwar genauso, aber er fragte sich auch, ob man bei den verschiedenen Einsatzstäben in Deutschland, den USA und unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen wirklich solch feine Unterschiede machen würde.
Friedman erwartete die Kalders zusammen mit seinem Kollegen am Flughafen. Es war gerade halb sieben geworden. Beide sahen ziemlich übernächtigt aus. Sie hatten seit ihrer Abreise aus den Staaten so gut wie überhaupt nicht geschlafen. Zügig passierte die kleine Gruppe die Sicherheitskontrolle. Auf wundersame Weise entging das Handgepäck der Kalders dabei sogar der sonst üblichen Durchleuchtung. »Sie reisen heute einmal als UN-Diplomaten ersten Ranges«, erklärte Friedman lächelnd.
Als im Warteraum über Lautsprecher zum Einsteigen aufgefordert wurde, tauchten plötzlich Reithammer und Hartmann auf. Ersterer schuf freie Bahn unter den aufgeschreckten Passagieren wie ein Panzerkreuzer bei einer Segelregatta, während in seinem Kielwasser Hartmann heranrauschte.
Als das merkwürdige Paar die Kalders und ihre Begleiter erreicht hatte, drückte Reithammer Mark einen braunen Briefumschlag mit behördlichen Dokumenten in die Hand. Der Bayer entschuldigte sich für sein spätes Erscheinen, aber einige der Schriftstücke hätten der Genehmigung des Innenministers persönlich bedurft und seien erst in allerletzter Minute eingetroffen. Mark möge den Inhalt des Umschlags an den Leiter des UN-Sonderkommandos »Cyberworm« weitergeben. In den verschiedenen Unterlagen wurden die Haltung der Bundesrepublik Deutschland zur aktuellen Krise dargelegt und die allgemeine Kooperationsbereitschaft betont. Darüber hinaus sicherte man dem hoch geschätzten deutschen Teammitglied, Professor Mark Kalder, uneingeschränkte Unterstützung zu.
Mark bedankte sich, nicht ohne einen kleinen Seitenhieb auf die »doch recht späte Einsicht« der deutschen Behörden seine Arbeit betreffend. Stella gewann einen ähnlichen Eindruck wie ihr Vater: Die Bundesrepublik, vertreten durch
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