Das Netz im Dunkel
Kristall–und das ist der wahre Grund, warum sie dich meine Pflichten übernehmen läßt. Ich bin nicht einmal gut genug für eine Küchensklavin. Audrina, ist dir aufgefallen, wie oft sie Papa das ins Gesicht schleudert? Es ist ihre Waffe, um ihnzu verletzen, weil sie weiß, daß es ihm weh tut, wenn sie das sagt. Denn das ist es, was er aus deiner Mutter gemacht hat–seine Küchen- und Bettsklavin.«
Mir gefiel dieses Gespräch nicht, es schien verräterisch. »Meine Mutter hat ihn geliebt«,erklärte ich trotzig. »Ich glaube, wenn man liebt, gibt man auf, was man sich für sich selbst wünscht.«
»Dann gib du auch etwas für mich auf, Audrina. Liebe mich so, wie du bereit bist, Sylvia zu lieben. Und das, obwohl sie dumm und zurückgeblieben ist, auch wenn sie noch klein und bemitleidenswert und irgendwie süß ist. Ich werde deine beste Schwester sein. Bestimmt. Von jetzt an. Ich schwöre dir, daß ich nie wieder gemein zu dir sein werde. Bitte, werde meine Freundin, Audrina. Bitte, hab Vertrauen zu mir.«
Noch nie zuvor war Vera in meine Nähe gekommen, ohne wenigstens zu versuchen, mich zu verletzen. Sie zitterte, als sie neben meinem Bett stand. In ihrem langen, weißen Nachthemd mit merkwürdigem, aufrecht stehendem Haar, das so gespenstisch aussah, schien sie verletzlich. Und ich konnte sie verstehen. Es war schrecklich, von der eigenen Mutter nicht geliebt zu werden…und wenn sie sich meine Liebe wünschte, dann wollte ich es wenigstens versuchen.
Ich erlaubte ihr, zu mir ins Bett zu kriechen, und einander umarmend schliefen wir bald darauf fest ein.
Ich habe mich niemals gefragt, warum Vera gerade an dem Tag, an dem Sylvia heimkam, beschloß, daß sie mich brauchte. Ich war nur dankbar.
Schon bald standen Vera und ich uns sehr nahe. Wir hatten so viel Spaß miteinander, daß es unglaublich schien, daß ich sie noch vor so kurzer Zeit für meine ärgste Feindin gehalten hatte. Obwohl sie nur einmal proWoche Unterricht bei Mr. Rensdale hatte, begleitete sie mich von nun an täglich. Anständig und bescheiden saß sie auf dem Sofa und hörte mir beim Spielen zu. Arden flüsterte mir zu, daß er froh war, daß Vera und ich endlich Freundinnen geworden waren. »So sollte es mit Schwestern auch sein–oder mit Cousinen. Familien gehören zusammen.«
»Ist schon in Ordnung, wenn du sie meine Schwester nennst. Die anderen denken das sowieso alle.«
Jetzt, wo ich Vera und meinen Musiklehrer zusammen sah, dachte ich, ich könnte erkennen, ob Vera mir Lügen oder die Wahrheit erzählt hatte. Waren sie wirklich ein Liebespaar? An einem heißen Sommernachmittag trug Vera nichts weiter als einen kurzen weißen Baumwoll-BH und hellgrüne Shorts. Ich hatte eine weiße Bluse und einen Rock an, was Papa der Klavierstunde für angemessen hielt. Die Art, wie Vera an- (oder aus-)gezogen war, war seiner Meinung nach für mich zu unanständig.
Während ich ernsthaft versuchte, mit dem Eifer eines vielversprechenden Künstlers zu arbeiten, räkelte sich Vera in einem von Mr. Rensdales Sesseln, hatte ein Bein über die Armlehne geworfen. Ihre Finger vollführten Kreise um ihre Brustwarzen, die bereits hervorstanden. Mr. Rensdales Blicke wanderten unweigerlich immer wieder in ihre Richtung. Wie herrlich ich auch spielte, oder wie viele Fehler ich auch machte, er bemerkte nichts davon. Welchen Sinn hatten Stunden des Übens, wenn Vera ihn dann so ablenkte? Gedankenlos umarmte Vera sich selbst, streichelte ihre Schenkel, ihre Arme, schüttelte ihre Brüste, als wollte sie Krümel aus ihrem BH entfernen. Es war erstaunlich, wie sie sich immer mit ihrem Körper beschäftigen konnte.
»Vera, um Gottes willen, ist mit dir was nicht in Ordnung?« fuhr Lámar Rensdale sie an.
»Eine Biene hat mich gestochen, an einer unaussprechlichen Stelle, und das tut weh«, heulte sie und sah ihn flehentlich an. »Ich muß den Stachel herausziehen, aber ich kann ihn nicht sehen. Er ist an der Unterseite meines–«
»Ich weiß, wo er ist«, unterbrach er sie. »Schließlich versuchst du seit einer halben Stunde, ihn herauszuziehen. Audrina, geh in mein Badezimmer und hilf deiner Schwester, den Stachel herauszuziehen.«
Mr. Rensdale hatte ihr den Rücken zugekehrt und sah mich bittend an. Hinter ihm schüttelte Vera heftig den Kopf und machte mir klar, daß sie meine Hilfe nicht wollte. Trotzdem stand ich auf und ging ins Bad, wo ich auf Vera wartete. Minuten vergingen. »Beeil dich, Vera. Arden wird gleich hiersein, um uns
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