Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
Vom Netzwerk:
alles andere–war, daß sie ihren Körper immer nochnicht beherrschte.
    »Sie ist noch keine drei Jahre alt«, ermutigte mich Papa, als ich unser altes Nachttöpfchen entrüstet fortschob. »Selbst du hast in diesem Alter noch Windeln getragen.«
    »Hat sie nicht!« verbesserte meine Tante. »Audrina war immer peinlich sauber. Sie hat sich das Töpfchengehen selbst beigebracht, und Lucietta hat ihr Kinderlieder vorgesungen und ihr hübsche Bilder gezeigt und sie mit Keksen belohnt, wenn sie es gut gemacht hatte.«
    Papa runzelte mißbilligend die Stirn, ehe er sich entschloß, die Bemerkung zu ignorieren. »Du mußt sie sauberer halten, Audrina, sonst hat sie am Ende einen roten, wunden Hintern, der nicht leicht zu heilen sein wird–deshalb schreit sie nachts. Die Windeln tun ihr weh.«
    »Damián! Hör auf damit! Du kannst von einem jungen Mädchen wie Audrina nicht erwarten, daß sie die volle Verantwortung für ein zurückgebliebenes Kind übernimmt. Bring sie in das Heim zurück, oder engagiere eine Pflegerin.«
    »Die kann ich mir nicht leisten«, entgegnete Papa schläfrig, gähnte und reckte seine langen Beine, schickte sich an, ein Nickerchen im Liegestuhl auf der Veranda zu machen. »Ich muß schließlich noch dich und deine Tochter unterhalten, Ellie. Dafür geht mein ganzes Geld drauf.«
    Ich starrte Papa an. Ich verabscheute die Art, wie er die Wahrheit so verdrehen konnte, daß sie schmerzte.
    Eine halbe Stunde später versuchte ich es noch einmal mit dem Töpfchen, band Sylvia darauf fest, damit sie nicht fortkrabbeln konnte. Eine ganze Stunde lang las ich ihr vor, aber ohne Erfolg. Kaum hatte ich Sylvia wieder frisch gewickelt und ihr eine Gummihose angezogen, da war die Windel auch schon wieder schmutzig. Vera kam geradenoch rechtzeitig, um zu sehen, daß ich meine Schwester erneut umzog. Sie lachte boshaft. »Mensch, bin ich froh, daß ich nicht für sie verantwortlich bin. Sonst würde sie schmutzig bleiben.«
    »Du würdest eine feine Krankenschwester abgeben«, erklärte ich wütend. Dann fuhr mein Kopf herum, und ich funkelte sie an. »Wo bist du gewesen?«
    Manchmal, wenn ich dachte, Vera säße in ihrem Zimmer und würde lesen, war sie überhaupt nicht da. Sie war nirgendwo, wo ich sie finden konnte. Für gewöhnlich tauchte sie kurz vor sechs auf, ehe Papa heimkam.
    Gähnend ließ sie sich in einen meiner Sessel fallen. »Ich hasse die Schule im Sommer. Ich hasse sie im Winter. Ich weiß, daß die Schule um zwölf zu Ende ist, aber ich habe ein paar Freunde in der Stadt, wenn du auch keine hast, und…«
    Sie lächelte mich geheimnisvoll an. Dann warf sie mir einen Riegel Schokolade zu. »Ein Geschenk. Ich weiß ja, daß du Schokolade magst.«
    Irgend etwas ging in Veras Leben vor sich, aber ich bohrte nicht nach. Sie quälte mich zwar nicht mehr so oft, aber bei der Hausarbeit half sie immer noch nicht. Auch nicht, wenn es um Sylvia ging. »Ich bin erschöpft, Audrina, vollkommen ausgepumpt.«
    Sie gähnte und rollte sich wie eine Katze zusammen. Ich konnte sie förmlich schnurren hören.
    Während meine Tante und ich die Mahlzeiten zusammen vorbereiteten, das Haus putzten und die Betten frisch bezogen, entwickelte sich zwischen uns eine Art Zusammengehörigkeit, die Vera nicht mit einbezog. Manchmal durfte ich sie sogar Tante Ellie nennen. Ach, und wie sehr bemühte sie sich, so gut zu kochen, wie Mammi es getan hatte. Ihr größter Wunsch war es (wennsie mir das auch nie sagte, so spürte ich es doch), sogar noch besser zu kochen als meine Mutter. Sie wollte, daß Papa alle seine Lieblingsgerichte bekam. Manchmal war es zwei Uhr morgens, ehe sie endlich zu Bett ging.
    Es waren vielleicht sechs Monate seit dem Tag vergangen, als Sylvia zu uns kam, als Papa eines Tages bei Tisch, nachdem er sich den Mund abgewischt hatte und seine Serviette niederlegte, lächelnd sagte: »Nun, Ellie, diesmal hast du dich wirklich selbst übertroffen. Das hätte niemand besser machen können. Es war ein köstliches Mahl, wirklich köstlich.«
    Wer hätte je gedacht, daß ich glücklich sein würde, wenn er das zu meiner Tante sagte? Ich freute mich so sehr über sein Kompliment, daß mir Tränen in die Augen traten–vielleicht, weil sie auch welche in den Augen hatte.
    Für mich begann ein anderes Leben. Ein wildes Leben, das mir meinen Sommer stahl; ich konnte nur noch zweimal die Woche Klavierunterricht nehmen und hatte kaum noch Zeit, Billie und Arden zu sehen. Im Herbst war ich gezwungen, von der

Weitere Kostenlose Bücher