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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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wenn ich dich nicht so halte, heißt das nicht, daß ich dich nicht mehr liebe.«
    Seine Hände lagen auf meinem Haar, und ich preßte mein Gesicht an sein Hemd. In diesem Augenblick spürte ich nichts als seine Liebe.
    »Ich bin stolz und sehr froh, daß du versprochen hast, auf Sylvia aufzupassen«, fuhr er fort, so gefühlvoll, als hätte ich jetzt endlich doch bewiesen, wie seine erste und geliebte Audrina zu sein. »Es ist deine Pflicht, dich um deine unglückliche Schwester zu kümmern. Du darfst sie nie in ein Heim einweisen lassen, wo sie von anderen Patienten mißbraucht werden würde und auch von den Pflegern, die nicht anständig bleiben, wenn es um ein hübsches, junges Mädchen geht. Und Sylvia wird sehr schön werden, das kann man schon jetzt sehen. Sie wird keine geistigen Fähigkeiten besitzen, aber das kümmert die Männer nicht. Sie werden sie benutzen, mißbrauchen. Wenn sie die Pubertät erreicht, wird irgendein Junge ihr die Jungfräulichkeit rauben, wird sie vielleicht zur Mutter machen. Und Gott helfe ihrem Kind, für das du dann auch verantwortlich sein wirst. Sieh mich nicht so an und denke nicht, ich würde dir meine Last auf die jungen Schultern laden. Sylvia wird mich überleben, genau wie du. Ichdenke nur an die Zeit, wenn ich nicht mehr bin und auch Tante Elsbeth nicht.«
    Ich schluchzte an seiner Schulter, dachte, welch schweres Kreuz Sylvia doch war.
    Papa trug mich zum letzten Mal die Treppe hinauf und brachte mich zu Bett, und vielleicht küßte er mich auch zum letzten Mal, als er mir nun eine gute Nacht wünschte. Unklare Erinnerungen tauchten vor mir auf von all den Abenden, an denen er mich zu Bett gebracht hatte, mir meinen Gutenachtkuß gegeben hatte, sich meine Gebete angehört und mich ins Zimmer der ersten Audrina gebracht hatte, wo ich im Schaukelstuhl sitzen und träumen mußte. Als er jetzt in der Tür stand und mich traurig ansah, erklärte er mir, daß er erwarten würde, daß ich von nun an erwachsen sei.
    »Schon gut, Papa«, antwortete ich mit kräftiger Stimme, »ich habe jetzt keine Angst mehr, nachts durch den Flur zu gehen. Wenn Sylvia im Schlaf weint, laufe ich zu ihr, und du brauchst dich nicht darum zu kümmern. Aber du mußt sie auch liebhaben und alles für sie tun, was du für mich getan hast. Ich habe nicht einmal mehr Angst, im Schaukelstuhl zu sitzen. Wenn du nicht vor der Tür stehst, werde ich tatsächlich zu dem leeren Krug, der sich bis zum Überlaufen mit allem füllt, was schön ist. Die Jungs im Wald quälen mich nicht mehr, denn ich habe gelernt, sie nicht mehr so zu fürchten, wie ich es früher getan habe. Danke, Papa, dafür, daß du mir geholfen hast, meine Angst vor den Jungs zu überwinden.«
    Eine lange, lange Weile stand er schweigend da. »Ich bin froh, daß sich der leere Krug gefüllt hat.«
    »Wenn ich jetzt in dem Stuhl sitze, kann ich Mammi finden und mit ihr reden…ist das verrückt, Papa?«
    Ein Schatten verdunkelte seine Augen. »Halte dich demSchaukelstuhl fern, Audrina. Er hat alles für dich getan, was er konnte.«
    Was? Wie merkwürdig, wie überraschend. Ich wußte jetzt, daß ich ihn nicht aufgeben würde. Papa schützte mich vor etwas, von dem er nicht wollte, daß ich es erfuhr. Und genau dieses Etwas mußte ich einfach kennen.
    Er verließ mich, schloß die Tür hinter sich, und ich war allein. Ich lag so still im Dunkeln, daß ich das Haus atmen hören konnte, die Bretter des Bodens flüsterten, ersannen einen Weg, mich für alle Zeiten hier festzuhalten.
    Im Dämmerlicht meines schattigen Zimmers, umgeben von all den Geistern früherer Whiteferns, hörte ich das leise Knarren meiner Tür, als sie geöffnet und dann wieder geschlossen wurde. Es schien, als schlüpfe ein Gespenst aus der Hölle herein. Das lange, weiße Gewand schleifte über den Boden. Ich hätte fast geschrien!
    »Audrina…ich bin’s bloß…Vera.«
    Mein Herz schlug so schnell nach dem Schrecken, den sie mir eingejagt hatte, daß meine Stimme bebte, als ich fragte, was sie wollte. Leise und stockend drangen ihre Worte an mein Ohr und verblüfften mich. »Ich möchte deine Freundin sein…wenn du mich haben willst. Ich habe es satt, in einem Haus zu leben, wo mich jeder haßt, sogar meine eigene Mutter. Audrina, ich habe niemanden! Zeig mir, wie man die Leute dazu bringt, einen zu mögen.«
    »Deine Mutter mag mich nicht«, erwiderte ich erstickt.
    »Doch, das tut sie. Auf alle Fälle mehr als mich. Dir vertraut sie das gute Porzellan an, das

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