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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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jetzt–nach allem, was sie ihm an den Kopf geworfen, wie sie ihn angeschrien hatte–die Arme um seinen Hals und erwiderte seine Küsse mit einer Leidenschaft, die der seinen nicht nachstand. Hilflos, als könnte sie ihm nicht widerstehen, ließ sie sich von ihm hochheben. Mit meiner Tante in den Armen eilte Papa zur Hintertreppe.
    Ich war verwirrt und wie benommen, als ich meine zitternde Schwester in die Küche schleifte. Ich hob den Scheck auf und starrte die Summe an: Fünfzigtausend Dollar für Elsbeth Whitefern. Ich befestigte den Scheck an der Pinnwand. Dort würde meine Tante ihn am nächsten Morgen auf jeden Fall sehen, und damit könnte sie fortgehen–wenn sie das noch wollte.
    Alles, was ich in der Küche gehört und gesehen hatte, brodelte in jener Nacht in meinem Kopf. Lámar Rensdale hatte sich umgebracht–warum? Woher wußten es die Dorfbewohner? War in der Zeitung darüber geschrieben worden? Und wenn ja, warum hatte ich das nicht gelesen? Wahrscheinlich hatte Vera angerufen und es meiner Tante erzählt. Sie war jetzt so von Kummer erfüllt, daß sie sich jemandem anvertrauen mußte, und sie hatte ja niemanden außer ihrer Mutter. Hatte Vera meinen gutaussehenden Musiklehrer wirklich geliebt? Wenn ja, warum hatte er sich dann das Leben genommen? Ich seufzte und hörte den Wind antworten…,und das würde wahrscheinlich die einzige Antwort bleiben, die ich bekommen würde.
    Doch ganz hinten in meinem Kopf tauchte immer wieder eine Frage auf, die größte Frage überhaupt. Was war es, das meine Tante mir nicht verraten durfte? Was war das für ein Geheimnis, das mich so unglücklich machen würde, wenn ich davon hörte?
    Alpträume ließen mich am nächsten Morgen früh aufwachen. Am Rand der Vordertreppe, im Licht der Morgensonne, das durch die Bleiglasfenster hereinfiel, blieb ich abrupt stehen und erstarrte.
    Unten in der Halle lag meine Tante mit dem Gesicht auf dem Boden, reglos. Langsam, ganz langsam, ging ich die Treppe hinunter wie ein Schlafwandler, fürchtete jede Sekunde einem großen Schrecken gegenüberzustehen. Sie ist nicht tot, sagte ich mir immer wieder, nicht tot, nicht tot, nur verletzt. Ich mußte einen Krankenwagen rufen, ehe es zu spät war. Sie benutzte die Vordertreppe nur sehr selten, weil die Hintertreppe der Küche, wo sie sich fast den ganzen Tag über aufhielt, so bequem nah war. Ich dachte, ich hätte ein leises Geräusch aus der Küche gehört, als hätte jemand vorsichtig eine Tür geschlossen.
    Zögernd näherte ich mich meiner Tante. »Tante Ellie«,flüsterte ich ängstlich. Ich kniete nieder, drehte den Körper meiner Tante herum und starrte dann in ihr Gesicht. »Bitte, du darfst nicht tot sein«, flehte ich wieder und wieder. Es war schwer, sie zu bewegen. Sie war wie Blei. Ihr Kopf rollte unnatürlich lose herum, als ich sie schubste und stieß, bis ich sie endlich auf den Rücken gedreht hatte. Ihre dunklen Augen starrten mich glasig an. Ihre Haut wies eine unnatürliche, grünlichgraue Farbe auf.
    Tot, sie war tot. Sie war reisefertig, trug ein Kostüm, das ich noch nie an ihr gesehen hatte, aber sie war tot und hatte bereits die Reise zum Himmel oder in die Hölle angetreten.
    Ein Schrei blieb mir in der Kehle stecken. Ich schluchzte nur. Ich wollte nicht, daß sie tot war. Ich wollte, daß sie den Scheck bekam und eine Chance, das Leben noch zu genießen, und gleichzeitig wollte ich, daß sie bei uns blieb. Jetzt ließ ich meinen Tränen freien Lauf und fing an, den Kragen an ihrer neuen, weißen Bluse glattzustreichen. Ich zog ihren Rock herunter, damit man ihren Slip nicht sehen konnte, und richtete ihre gebrochenen Beine so, daß sie nicht mehr gebrochen aussahen. Ihr Kopf stand in einem merkwürdigen Winkel ab. Ich weinte noch heftiger, als ich ihren. Dutt öffnete und ihr Haar locker herabfallen ließ. Das sah hübscher aus. Und ihr Kopf blieb liegen.
    Ich hörte Schreie. Wieder und wieder schrie jemand. Das war ja ich! Schwere Füße kamen aus der Küche herbeigelaufen, eine Stimme rief meinen Namen. Ich wirbelte herum, sah Sylvia ungeschickt die Treppe hinabkommen. Sie brabbelte vor sich hin, während sie versuchte, gleichzeitig das Geländer und ihre Kristalle festzuhalten. Sie kam so schnell wie möglich zu mir, lächelte über das ganze hübsche Gesicht. Und ihre Augen sahen mich an! Ich dachte, sie würde gleich etwas sagen, als plötzlich hinter mir eine Stimme ertönte…
    »Wer hat da geschrien?« fragte Papa, als er in die Halle stürzte. Er

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