Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
Vom Netzwerk:
Blumen für die erste Audrina.
    Zur Erinnerung an Tante Ellie fing ich mit meiner eigenen ›Teestunde‹ an. Während ich mit dieser Routine begann, die einst von zwei anderen Schwestern ins Leben gerufen worden war, kroch Sylvia ins Zimmer, setzte sich mir zu Füßen auf den Boden und starrte mit verwirrtem Ausdruck in mein Gesicht empor. Ich hatte das Gefühl, die Zeit wäre zurückgestellt worden, alles würde sich wiederholen. »Lucietta«, sagte die dicke Frau, für die ich jetzt sprach, »was für ein hübsches Mädchen deine dritte Tochter doch ist. Sylvia, ein schöner Name. Wer ist Sylvia? Es gab da einmal ein Lied über ein Mädchen namens Sylvia. Lucietta, bitte, spiel dieses Lied noch einmal für mich.«
    »Aber natürlich, Mercy Marie«, antwortete ich und imitierte die Stimme meiner Mutter. »Ist sie nicht hübsch,meine süße Sylvia? Ich finde, sie ist die schönste von meinen Töchtern.«
    Ich spielte eine kleine Melodie auf dem Klavier, die recht tölpelhaft klang. Aber wie eine Marionette, die vom Schicksal geführt wird, konnte ich nicht aufhören, nachdem ich erst einmal angefangen hatte. Lächelnd reichte ich Sylvia einen Keks. »Und jetzt sprichst du für die Dame auf dem Foto.«
    Mit überraschender Gelenkigkeit sprang Sylvia auf die Füße, rannte zum Klavier, packte das Foto von Tante Mercy Marie und schleuderte es in den Kamin. Der Silberrahmen zerbrach, das Glas splitterte, Sylvia zerfetzte das Foto. Als es zerrissen war, sah sie mich erschrocken an und wich zurück.
    »Wie konntest du es wagen?« brüllte ich. »Das war das einzige Foto, das wir von Mutters bester Freundin hatten! So etwas hast du doch noch nie getan!«
    Sie fiel auf die Knie, kroch wimmernd zu mir wie ein kleiner Hund. Zu meinen Füßen kauernd, grapschte Sylvia nach meinem Rock, öffnete die Lippen, und bald netzte Speichel ihr Kinn und tropfte auf ihr weites Kleid. Ein kleines Kind hätte mich nicht unschuldiger ansehen können. Billie mußte sich irren. Sylvia konnte ihre Augen nicht länger als ein, zwei Sekunden auf einen Punkt heften.
    In dieser Nacht, während Arden friedlich neben mir schlief, träumte ich. Ich hörte Trommeln und Eingeborenenlieder. Tiere heulten. Ich schoß hoch, wollte gerade Arden wecken, entschied dann aber, daß das Heulen der Tiere nur Sylvias Geschrei war. Ich rannte ¡n ihr Zimmer, nahm sie in die Arme. »Was ist los, Liebes?«
    Ich schwöre, daß ich dachte, sie würde zu sagen versuchen »Schlecht…schlecht…«. Aber ich war mirwirklich nicht sicher. »Hast du ›schlecht‹ gesagt?«
    Ihre blauen Augen waren vor Angst weit aufgerissen–aber sie nickte. Ich fing an zu lachen und zog sie noch fester an mich. »Aber nein, es ist nicht schlecht, daß du reden kannst. O Sylvia, ich habe es so sehr versucht, habe mich so bemüht, es dir beizubringen, und endlich versuchst du es. Du hattest einen schlimmen Traum, das ist alles. Schlaf jetzt weiter und denke daran, wie wundervoll das Leben werden wird, jetzt, wo du dich verständlich machen kannst.«
    Ja, sagte ich mir selbst, als ich mich an Arden kuschelte–ich liebte das Gefühl seiner Arme um mich, wenn er nicht leidenschaftlich war–,das war alles, ein böser Traum von Sylvia.
    Bis Thanksgiving Day dauerte es noch eine Woche. Ich war mehr oder weniger glücklich, als ich mit Billie in der Küche saß und das Menü zusammenstellte. Doch noch immer ging ich wie ein Kind durch die langen Flure, achtete darauf, nicht auf eines der bunten, geometrischen Muster zu treten, die die Bleiglasfenster auf den Boden warfen. Ich blieb lange stehen und starrte die Regenbogenfarben an der Wand an, genauso wie als Kind. Meine Erinnerungen an meine Kindheit waren noch immer so verschwommen.
    Als ich die Küche verließ und zur Treppe gehen wollte in der Absicht, das Spielzimmer aufzusuchen und die Vergangenheit herauszufordern, die Wahrheit zu enthüllen, drehte ich mich plötzlich um und ertappte Sylvia, die mir wie ein Schatten folgte. Natürlich hatte ich mich an sie als meine ständige Begleiterin gewöhnt. Aber was mich erstaunte, war die Art, wie sie einen verirrten Sonnenstrahl mit ihrem Kristall auffing und mir die Farben direkt in die Augen scheinen ließ.
    Geblendet stolperte ich rückwärts, bekam es aus irgendeinem Grund mit der Angst zu tun. Im Schatten an der Wand zog ich die Hand fort, mit der ich meine Augen bedeckt hatte, und starrte zu dem riesigen Leuchter hinüber, der alle Farben auffing. Die Spiegel an den Wänden brachen sie

Weitere Kostenlose Bücher