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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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letzten Woche ihres Lebens ausgesehen hatte, strahlend vor Glück, weil sie liebte. Aber warum hatte Billie versucht, die Vordertreppe zu benutzen, wenn die hintere Treppe doch so viel näher an der Küche lag? Genauso wie Tante Elsbeth, die auch die meiste Zeit des Tages in der Küche verbracht hatte.
    Konnte es möglich sein, daß die Vordertreppe die einzige ›tödliche‹ Treppe war, weil sie direkt zum Marmorfußboden hinabführte, ohne Kurven und teppichbedeckte Treppenabsätze? Dann würde das bedeuten, daß jemand meine Tante und Billie absichtlich hinabgestoßen hatte.
    Wieder und wieder durchlebte ich den Tag von Billies Tod, hörte ihren Schrei, das Poltern von Billie und ihrem Karren, als sie die Treppe hinabstürzten.
    »Hör auf zu weinen!« befahl Vera rauh, als sie mir das Thermometer in den Mund schob. »Denk dran, daß meine Mutter dir schon immer gesagt hat, Tränen hätten keinen Sinn. Haben sie nie gehabt und werden sie auch nie haben. Nimm dir im Leben, was du willst, ohne um Erlaubnis zu fragen, sonst bekommst du nichts.«
    So krank ich auch war, schreckte ich doch vor ihrer harten Stimme zurück, die sie immer bekam, wenn kein Mann in der Nähe war, der sie hören konnte. Sie warf Sylvia, die in einer Ecke kauerte, einen bösen Blick zu.
    »Ich verabscheue dieses kleine Ungeheuer. Warum hast du den Polizisten nicht die Wahrheit gesagt und dich von ihr befreit? Sie ist es, die meine Mutter umgebracht hat–und Billie.«
    Sie marschierte hinüber und baute sich vor Sylvia auf. Ich stützte mich auf die Ellbogen hoch, um zu verhindern, was kommen mochte. »Sylvia«, brüllte Vera und stieß Sylvia mit dem Fuß. »Du wirst dich nicht von hinten an mich anschleichen und mich die Treppe hinunterstoßen, weil ich auf der Hut sein werde–das wird nicht geschehen, ist das klar?«
    »Laß sie in Ruh’, Vera.«
    Meine Stimme war schwach, ich konnte nicht klar sehen, aber es schien mir so, als hätte Sylvia mehr Angst vor Vera als Vera vor ihr…so große Angst, daß sie unter mein Bett kroch und sich dort versteckte, bis Papa und Arden heimkamen.
    Nach Billies Tod wurde das Leben hart. Vielleicht, weil wir alle (außer Vera und Sylvia) sie so sehr vermißten, vielleicht auch, weil ich einen doppelten Verlust erlitten hatte, denn jetzt mißtraute ich Sylvia. Ich gab mir keine Mühe mehr, ihr etwas beizubringen. Oft, wenn ich michplötzlich umdrehte, ertappte ich Sylvia dabei, daß sie mich traurig anstarrte, mit sehnsüchtigem Ausdruck. Es lag nicht so sehr in ihren Augen als vielmehr in ihrer Haltung, wenn sie versuchte, meine Hand zu nehmen oder mir mit Wildblumen eine Freude zu machen, die sie aus dem Wald mitbrachte.
    Meine Erkältung schleppte sich dahin, ich hustete den ganzen Sommer über. Ich war noch immer neunzehn und freute mich auf den Geburtstag, an dem ich endlich zwanzig werden würde. Dann würde ich mich sicherer fühlen, wenn es keine Neun mehr geben würde, die mich verfluchte. Das Leben erschien mir zu grausam, hatte es mir doch in nur einem Jahr sowohl meine Tante als auch Billie genommen. Und Vera war noch immer bei uns, übernahm ihre Pflichten im Haushalt mit einer Bereitwilligkeit, die Papa überraschte und erfreute.
    Ich verlor Gewicht und fing an, mein Äußeres zu vernachlässigen. Mein zwanzigster Geburtstag kam und ging, und obwohl ich erleichtert war, daß dieses unheilvolle Jahr vergangen war, brachte mir das folgende nicht das ersehnte Glück. Ich hielt mich noch immer in den Schatten an den Wänden und beäugte alle Farben voll Angst. Jetzt wünschte ich, mein Gedächtnis hätte immer noch Lücken, in denen ich meine Angst vergraben könnte, meinen Verdacht in bezug auf Sylvia. Aber das Siebgedächtnis gehörte zu meiner Kindheit, und jetzt wußte ich nur zu gut, wie ich mich an das erinnern konnte, was mich bekümmerte.
    Noch ein Herbst verging, noch ein Winter. Es gab Nächte, in denen Arden überhaupt nicht heimkam, und es kümmerte mich nicht.
    »Hier«, sagte Vera an einem Tag im Frühling, kurz bevor sich Billies Todestag jährte, »trink den heißen Tee, und sieh zu, daß du ein bißchen Farbe auf die Wangenkriegst. Du siehst ja aus wie ein wandelnder Leichnam.«
    »Eistee würde mir besser schmecken«, sagte ich und’schob Tasse und Untertasse zurück. Wütend stellte sie sie mir wieder hin. »Trink den Tee, Audrina. Hör auf, dich wie ein Kind zu benehmen. Hast du nicht vor ein paar Minuten erst gesagt, daß dir kalt wäre?«
    Gehorsam nahm ich die Tasse und

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