Das Netz im Dunkel
den Whiteferns, mit Papa, mit uns allen nicht in Ordnung? Es war sinnlos, zu versuchen, Glück zu finden. Immer, wenn ich es gerade gefaßt hatte, entglitt es meiner Hand und zersplitterte.
Es war einfach nicht fair, was meiner Mutter, meiner Tante und nun Billie zugestoßen war. Ich hieb mit der Faust auf den Boden und schrie zu Gott, schimpfte ihn gnadenlos. »Hör auf, mir Schlimmes anzutun!« brüllte ich. »Du hast die erste Audrina getötet–versuchst du nun auch, mich zu töten, indem du alle sterben läßt, die ich liebe?«
Eine leise Berührung meines Armes rief mich in die Wirklichkeit zurück. Ich drehte mich um und sah durch meine Tränen hindurch Sylvia über mir. Sie flehte mich mit Augen an, die wieder wahrnehmen konnten. »Aud…driiinaaa…«, sagte sie in ihrer langsamen Art.
Ich setzte mich auf und zog sie erleichtert in meine Arme. Auf dem feuchten Gras fiel sie gegen mich, sackte zusammen. »Ist schon gut«, tröstete ich, »ich weiß ja, daß du Billie nicht weh tun wolltest.«
Sanft wiegte ich sie hin und her, mußte aber gegenmeinen Willen immer wieder daran denken, wie sehr sie Billie verabscheut und den roten Karren geliebt hatte. Mehrere Male hatte sie die Strahlen der Kristalle in meine Augen fallen lassen. Ein Unfall? Zufall? Absicht? Natürlich, was immer Sylvia getan hatte, war ohne die Absicht geschehen, jemanden zu töten. Sie hatte Billie wahrscheinlich von dem Karren geschubst, und dabei waren sowohl Billie als auch der Karren die Treppe heruntergestürzt.
Aber es war nicht geplant–denn Sylvia konnte nicht vorausdenken.
Sylvia setzte zu sprechen an, aber die Worte kamen nicht leicht über ihre Lippen. Während sie noch nach den richtigen Worten suchte und der Regen uns beide bis auf die Haut durchnäßte, kam Arden zu mir gerannt.
»Audrina, Vera hat angerufen. Was ist passiert? Was macht ihr beiden hier draußen im Regen?«
Wie konnte ich es ihm sagen? Gott sei Dank hatte Vera nichts erzählt. Tod schien ihr nichts zu bedeuten, es war für sie eine alltägliche Erscheinung, die sie nur neugierig, aber nicht traurig stimmte.
»Laß uns hineingehen, Liebling«, sagte ich, als er mich auf die Füße zog. Ich hielt Sylvias Hand ganz fest und führte ihn zur Seitentür und in den Flur, der ins Eßzimmer führte. Dort blieb ich stehen und erlaubte ihm, mein Haar mit einem Handtuch zu trocknen, das er aus dem hinteren Badezimmer geholt hatte. Im Spiegel konnte ich mein blasses Gesicht sehen.
»Es ist wegen deiner Mutter, Arden«, fing ich stockend an.
»Was ist mit meiner Mutter?«
Augenblicklich war er auf der Hut. Nervös fuhr er sich mit der Hand durchs Haar. »Audrina, was ist los?«
»Sylvia und ich sind zum Fluß hinuntergegangen…zumindest habe ich geglaubt, Sylvia wäre hinter mir…«
Ich brach ab, aber dann platzte es doch aus mir heraus. »Als ich zurückging, hatte der Sturm schon angefangen. Die Eingangshalle war dunkel. Irgend etwas kam polternd die Treppe herunter. Ich stolperte darüber. Es war…Arden, es war…Billie. Sie ist die Treppe heruntergefallen. Der Karren holperte hinterher. Arden…genau das ist Tante Elsbeth passiert…«
»Aber, aber–«
Er ließ das Handtuch fallen, suchte meine Augen. »Deine Tante ist gestorben…Audrina…Mammi…sie ist doch nicht…nicht tot?«
Ich legte die Arme um ihn und preßte meine Wange an seine. »Es tut mir so leid, Arden, so leid, daß ich dir das sagen muß. Sie lebt nicht mehr, Arden. Sie ist die Treppe heruntergefallen. Ich glaube, sie hat sich den Hals gebrochen, genau wie meine Tante…«
Sein Gesicht fiel zusammen. Schmerz trat in seine Augen, den er mich nicht sehen lassen wollte. Dann verbarg er sein Gesicht in meinem Haar und weinte.
Ein lautes Brüllen ließ uns beide zusammenfahren. Papa schrie Vera an. »Was sagst du da? Billie kann nicht tot sein!«
Seine schweren Schritte kamen den Gang entlang geeilt. »Billie kann nicht die Treppe heruntergefallen sein! Solche Sachen passieren nicht zweimal!«
»Doch, wenn Sylvia frei herumläuft!« kreischte Vera und hinkte zu uns. »Sie wollte Billies roten Karren haben–und hat sie geschubst. Ich war in der Badewanne. Ich habe die Schreie gehört.«
»Woher weißt du dann, daß es Sylvia war?« brüllte ich.
»Kannst du durch die Wände sehen, Vera?«
In der Eingangshalle kniete Papa neben Billies regloser Gestalt, zog sie zärtlich in die Arme. Ihr dunkler Kopf fiel nach hinten, genau wie Sylvias. »Ich habe künstliche Beine anfertigen
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