Das Netz im Dunkel
nachdem wir uns geliebt hatten, und zum erstenmal fand ich das Leben lebenswert.
Im Gegensatz zu Papa, der die erste Audrina am liebsten hatte, liebte mich Arden für das, was ich war, nicht für das, was er aus mir machen wollte. Ich zog ihn in meine Arme und beobachtete, wie das Wasser die Farben widerspiegelte. Es waren andere Farben als im Haus. Ich lag da und fing an zu denken, daß ich all das bunte Glas haßte, all die Tiffany-Lampen und Art-Deco-Stücke und all die anderen von Menschen gemachten Farben, die mir falsche Ängste einjagten. Was hatte ich jetzt schon noch zu fürchten?
Mitten in der Nacht wachte ich auf. Ich dachte, ich hätte Sylvia meinen Namen rufen gehört. »Au…drii…naa.«
Leise wurde wiederholt mein Name so ausgesprochen.
Ich komme schon, Sylvia, sandte ich ihr meine gedachte Antwort, wie ich es oft getan hatte, und immer schienen meine Botschaften sie zu erreichen. Zuerst mußte ich Ardens Arm von meiner Taille schieben, dann glitt ich vorsichtig unter dem schweren Gewicht seines Beines heraus, das er über die meinen gelegt hatte. Als ich frei war, beugte ich mich über ihn und streichelte seine Wange, küßte seinen Mund.
»Geh nicht fort…wohin gehst du?« fragte er verschlafen.
»Ich bin gleich wieder da«, flüsterte ich.
»Das ist gut«, murmelte er schläfrig, erschöpft nachvielenLiebesstunden.»Ichbrauchedich…bald…wieder…«
Und schon schlief er.
Sylvia schlief fest, zusammengerollt auf einer Seite. Im Schlaf sah sie immer aus wie ein kleiner Engel. Ich küßte sie auch, ich war so voller Liebe für alle und jeden. Wenn sie schlief, hatte sie nie anders als schön und normal ausgesehen.
Auf dem Weg zurück zu dem Zimmer, in dem Arden schlief und wartete, dachte ich wieder, ich hätte meinen Namen rufen gehört. Es schien aus dem Spielzimmer zu kommen…aus ihrem Schlafzimmer. War sie eifersüchtig, weil ich jetzt einen Mann gefunden hatte, der mich mehr liebte, als irgend jemand jemals sie geliebt hatte?
Ich mußte ins Spielzimmer gehen. Ich mußte hingehen und mich dem Entsetzen stellen, das mich immer daran gehindert hatte, Arden so zu genießen, wie ich es hätte tun sollen. Es war im Schaukelstuhl, wo ich die drei Jungs gesehen hatte, die die erste Audrina angriffen, und das war der erste Schritt gewesen auf dem Weg, der mich von der Normalität wegführte. Der zweite Schritt, der mich noch weiter davon entfernt hatte, jemals die Liebe zu genießen, waren Papa und all die Dinge, die er Mammi angetan und mir erzählt hatte. Und der dritte Schritt, der mich Meilen und Meilen fortgerissen hatte, war Papas Gleichgültigkeit dem Schmerz gegenüber, den er meiner Tante zugefügt hatte. Aber es war nicht mein Schrecken, sagte ich mir selbst. Er gehörte Papa und auch ihr, der ersten Tochter, die gestorben war, ehe ich geboren wurde.
Und wieder an einem regnerischen Tag
Was hatte mich in das Zimmer der ersten Audrina getrieben und mich gezwungen, mich in den Stuhl zu setzen, wo ich dumme Lieder sang? Ich schaukelte und schaukelte, und wieder packte mich das Entsetzen, das schon meine Kindheit gequält hatte, machte mich erneut zum Kind. Irgend etwas flüsterte mir zu, aufzustehen und zu gehen, ehe es zu spät wäre. Geh zurück zu Arden, sagte ein weiser Teil von mir. Vergiß die Vergangenheit, die ohnehin nicht mehr zu ändern ist, geh zurück zu Arden.
Nein, dachte ich. Ich mußte stark sein. Ich mußte meine Ängste bezwingen, und die einzige Möglichkeit dazu war, die Szene dieses Regentages bewußt zu erwecken und alles noch einmal geschehen zu lassen…und diesmal würde ich daran festhalten bis zu dem Augenblick, als sie starb–und würde ihre Erinnerung für immer aus meinem Leben streichen.
Wie ich es schon als Kind getan hatte, so tat ich es jetzt auch als Frau. Ich schaukelte und sang, und schon bald teilten sich die Wände, wurden porös, und ich war wieder in der Erinnerung der ersten Audrina.
Ich sah meine Mutter, wie sie ausgesehen haben mußte, als die erste Audrina noch lebte, so jung und hübsch war sie, als sie warnte: »Audrina, versprich mir, daß du niemals die Abkürzung durch den Wald nehmen wirst. Es ist gefährlich für ein kleines Mädchen, allein dorthin zu gehen.«
Sie trug eines ihrer hübschen Pastellkleider, das im Wind flatterte, der kühl vom Fluß heraufkam. All ihre und meineLieblingsfarben befanden sich in diesem Kleid. Grüntöne und Violett, Blau, Aquamarin und Rosa. Ihr schönes Haar trug sie offen, und es blähte
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