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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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allmählich. Seine Finger entkrampften sich, aber er hielt mich immer noch sehr fest an der Schulter. »Junger Mann, ich bewundere Sie dafür, daß Sie versucht haben, meine Tochter zu schützen, aber sie hat sich allein dadurch schon schlecht benommen, daß sie hierhergekommen ist. Vera hat mir nichts erzählt. Ich habe dieses Gör seit gestern abend nicht mehr gesehen. Ich brauchte meiner Audrina heute morgen nur in die Augen zu schauen. Sie leuchteten so sehr beim Frühstück, daß ich sofort mißtrauisch geworden bin.«
    Sein Lächeln war charmant und teuflisch zugleich, als er sich mir zuwandte. »Du siehst also, meine Liebe, daß du vor mir keine Geheimnisse haben kannst. Ich brauchekeine Vera, um zu erraten, was du vorhast. Und niemand sollte besser wissen als du, was es heißt, sich mit einem Jungen heimlich im Wald zu treffen.«
    Papa grinste, legte die flache Hand vor Ardens Brust und stieß ihn zurück. »Was nun Sie angeht, junger Mann: Wenn Sie wollen, daß Ihre hübsche Nase so gerade und ungebrochen bleibt, dann lassen Sie meine Tochter in Ruhe.«
    Arden taumelte zurück, fiel aber nicht.
    »Auf Wiedersehen, Arden«, rief ich, zerrte an Papas Hand und versuchte, ihn fortzuziehen, ehe er Arden noch einmal stoßen konnte.
    Papa wählte für den Heimweg die schlechtesten Wege. Dornen zerkratzten mein Gesicht, meine Beine und Füße. Nach einer Weile ließ er meine Hand los, um sein eigenes Gesicht vor den niedrigen Zweigen schützen zu können.
    Ich hatte große Schwierigkeiten, sein Jacket nicht zu verlieren. Es drohte immer wieder von meinen Schultern zu rutschen. Wenn ich es auf eine Schulter hinaufzog, rutschte es auf der anderen wieder hinunter. Die Ärmel schleiften über den Boden, und ein paarmal stolperte ich und fiel. Ungeduldig wartete er darauf, daß ich wieder aufstand, und nach dem dritten Sturz packte er die Ärmel und schlang sie mir wie einen schweren Schal um den Hals.
    Hilflos starrte ich zu ihm auf, fragte mich, warum er so gemein zu mir war. »Tust du dir nun selbst leid, Liebling? Bedauerst du deine überstürzten Handlungen–daß du es riskiert hast, meinen Zorn zu erregen, um einen Jungen zu sehen, der dich am Ende doch nur ruinieren wird? Er ist ein Dreck, deiner nicht wert.«
    »Das ist nicht wahr, Papa«, heulte ich. Mein ganzer Körperbrannteundjuckte.MeineFüßewarenzerschnitten, meine Beine zerkratzt. »Du kennst Arden nicht.«
    »Du auch nicht!« fuhr er mich an. »So, und jetzt werde ich dir etwas zeigen.«
    Wieder packte er meine Hand und zerrte mich in eine andere Richtung. Weiter und weiter ging es, bis ich es aufgab, mich ihm zu widersetzen. Schließlich blieb er abrupt stehen.
    »Siehst du diesen Baum?« fragte er und deutete auf einen prächtigen Baum mit goldenen Blättern, die leise in der sanften Sommerbrise schaukelten. »Das ist ein Goldregen.«
    Unter dem Baum war ein kleiner Hügel, mit Klee bestanden, über dem Bienen summten und nach Nektar suchten. »Dort haben wir deine ältere Schwester gefunden. Tot lag sie da. Nur, daß es ein regnerischer Tag im September war. Es hat tüchtig geregnet. Der Himmel war dunkel vor Gewitterwolken, Blitze zuckten, und zuerst dachten wir, sie wäre vom Blitz erschlagen. Aber es gab genug Beweise, daß es nicht das Werk Gottes war.«
    Mein Herz jagte wie ein wildes, verängstigtes Tier in meiner Brust, hämmerte gegen meine Rippen, schrie, wollte ausbrechen. »Jetzt hör mir mal zu, hör mir gut zu. Lern aus den Fehlern der anderen, Audrina. Lerne, ehe es zu spät ist, um dich selbst zu retten. Ich möchte dich nicht auch eines Tages tot dort finden.«
    Der Wald bedrängte mich, drohte mich zu ersticken. Die Bäume wollten mich tot sehen, weil ich eine andere Audrina war, die sie für sich beanspruchten.
    Seine Lektion war noch nicht zu Ende. Herzlos schleifte Papa mich vorwärts. Ich weinte jetzt, wußte, daß er recht hatte. Ich hätte nicht ungehorsam sein dürfen, niemals. Ich hätte die andere Audrina niemals vergessen dürfen.
    Er führte mich zu unserer Familiengruft. Ich haßte diesen Ort. Ich versuchte, mich hinzusetzen, Widerstand zu leisten, aber Papa hob mich an der Taille hoch. Mit steifen Armen hielt er mich vor sich wie eine Puppe und blieb dann vor dem hohen, schlanken Grabstein stehen, der das Symbol für ein junges Mädchen zu sein schien. Wieder sagte er, was er schon hundertmal gesagt hatte, und genau wie früher immer ließen seine Worte mir das Blut in den Adern gerinnen, wurden mir die Knochen

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