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Das Netz im Dunkel

Das Netz im Dunkel

Titel: Das Netz im Dunkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: V.C. Andrews
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Kreuz für mich geschickt?«
    »Ich«, flüsterte er zurück. »Die roten Rosen, die sie am liebsten hatte, sind von mir. Aber ich fand, daß weiße Rosen die Liebe eines Kindes zu seiner Mutter besser ausdrücken können. All die anderen Blumen sind von unseren Freunden aus der Stadt.«
    Noch nie hatte ich so viele schöne Blumen an einem sotraurigen Ort gesehen. Um uns herum drängten sich Menschen in düsterer Kleidung und mit traurigen Gesichtern, und dennoch fühlte ich mich schrecklich allein. Dabei klammerte ich mich an Papas Arm, und auf der anderen Seite stand Arden und hielt ganz fest meine Hand.
    »Liebe Freunde«, fing der Pfarrer aus der Kirche an, die wir jeden Sonntag besuchten, »wir haben uns an diesem traurigen Tag hier versammelt, um einem lieben und geliebten Mitglied unserer Gemeinde die letzte Ehre zu erweisen. Einer schönen und talentierten Dame, die einen Tag wie diesen mit dem Sonnenschein ihrer Gegenwart erleuchten konnte. Sie hat unser aller Leben schön gemacht. Allein weil sie lebte, sind wir schon reicher geworden. Und weil sie so großartig war, gibt es Kinder hier im Dorf von Whitefern, die Spielzeug und neue Kleider unter dem Weihnachtsbaum gefunden haben, wo sonst nichts gelegen hätte. Es gab Essen auf den Tischen der Armen, weil diese Dame sich darum kümmerte…«
    So ging es weiter und weiter; ich hörte von all den guten Taten, die meine Mutter vollbracht hatte. Niemals hatte sie auch nur angedeutet, daß sie einen solch großen Beitrag zu all den wohltätigen Aufgaben der Kirche geleistet hatte.
    Und meine Tante hatte meine Mutter so oft selbstsüchtig und verwöhnt genannt, wo sie doch immer nur gegeben hat. Ein Wind erhob sich, und ich schwöre, es roch nach Schnee. Kalt war der Wind, so schrecklich kalt. Ich drängte mich näher an Papa, drückte ganz fest seine behandschuhte Hand, die die meine umklammerte. Dann hörte ich Worte, von denen ich gewußt hatte, daß der Pfarrer sie früher oder später sagen würde, obwohl dies das erste Begräbnis war, das ich erlebte. »Und wandle ich auch im finsteren Tal, fürchte ich nichts, denn der Herr ist mein Hirte…«
    Es schien so, als stände ich ewig dort im Regen, der auf mich herabprasselte und um mich herum Pfützen bildete. Ich stellte mir meine Mutter vor, wie sie mit ihrer klaren Sopranstimme sang; jetzt würde ich sie nie wieder singen hören.
    Ihr Sarg wurde von dem hydraulischen Lift angehoben und in die Erde gelassen. Ich würde sie nie wieder sehen. »Papa!« heulte ich, ließ Arden los und drehte mich um, um mein Gesicht an seine Jacke zu pressen. »Laß nicht zu, daß sie Mammi in das nasse Loch versenken. Sie sollen sie in eines der kleinen Häuser aus Marmor bringen.«
    Wie traurig er aussah. »Ich kann mir kein Marmormausoleum leisten«, flüsterte er zurück und ermahnte mich, kein Aufsehen zu erregen. »Aber wenn wir erst einmal reich sind, dann lassen wir einen Tempel für deine Mutter errichten–hörst du mir zu, Audrina?«
    Nein, ich hörte nicht zu. Ich beschäftigte mich mit Gedanken an die erste und unvergessene Audrina, als ich meine Augen auf ihren Grabstein richtete. Warum wurde meine Mutter nicht neben ihr bestattet? Ich fragte Papa danach. Er reckte das eckige Kinn. »Wenn ich einmal tot bin, möchte ich zwischen meiner Frau und meiner Tochter liegen.«
    »Wo werde ich liegen, Papa?« fragte ich, und der Schmerz in meinem Herzen mußte auch in meinen Augen gestanden haben. Selbst im Tode gehörte ich eigentlich nirgendwohin.
    »Du wirst deinen Platz früher oder später kennen«, antwortete er mit gepreßter Stimme. »Sag jetzt nichts mehr, Audrina. Die Leute starren dich schon an.«
    Was er sagte, ließ mich die Bewohner von Whitefern ansehen. Sie kamen uns nie besuchen, grüßten oder winkten niemals, wenn wir durch die Straße fuhren. Siehaßten uns aus vielen Gründen, sagte mein Vater, obwohl die Geschehnisse der Vergangenheit nicht unsere Schuld waren. Und doch kamen sie zur Beerdigung meiner Mutter. Waren das die Armen, die sie gespeist und gekleidet und denen sie Geld geschenkt hatte? Wenn ja, warum weinten sie dann nicht auch? Aber ich schluckte meine Tränen, hielt mich gerade, hob den Kopf und wußte, daß Mammi es gutheißen würde. Sie würde sich wünschen, mich tapfer und stark zu sehen. »Kultivierte Menschen zeigen niemals ihre Gefühle; sie halten sie zurück, bis sie allein sind.«
    Endlich war das Begräbnis vorüber. Die Menschen gingen davon, und nur unsere Familie blieb noch

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