Das Netz im Dunkel
zurück, bereit, in Papas Wagen heimzufahren. »Ich gehe nach New York«, sagte ich zu Papa, als er die Beifahrertür für mich aufhielt. »Ich habe beschlossen, Konzertpianistin zu werden, so wie Mammi es werden wollte. Es gibt nichts, absolut nichts, was du tun könntest, um mich davon abzuhalten.«
Arden stand direkt hinter mir, um einzusteigen. Er, Vera und meine Tante sollten auf dem Rücksitz sitzen. »Du kannst nicht Klavier spielen«, antwortete Papa grob. »Als deine Mutter in deinem Alter war, hat sie schon jahrelang gespielt. Du hast deine Hände nicht ein einziges Mal auf die Tasten gelegt. Das ist doch ein sicheres Zeichen dafür, daß du dich nicht zur Musik hingezogen fühlst.«
»Sie ja auch nicht, Papa. Sie hat mir erzählt, daß ihre Eltern sie gezwungen haben, Musikunterricht zu nehmen. Aber schließlich machte es ihr Spaß. Ich werde auch gern Musik machen, wenn ich erst einmal spielen kann.«
»Geben Sie Audrina eine Chance«, mischte sich Arden ein, der sich während der Beerdigung an meiner Seite gehalten hatte. Daß Billie nicht auch gekommen war, stimmte mich traurig.
»Halten Sie sich da raus, junger Mann«, grollte Papa und warf Arden einen haßerfüllten Blick zu. »Du bist noch ein Kind, Audrina, und weißt noch nicht, was richtig für dich ist. Du hast andere, weitaus wichtigere Talente, als auf einem Klavier herumzuhämmern.«
Ich glaubte keine Sekunde lang, daß er wirklich bedauerte, aus Mammi nur eine Ehefrau und Mutter gemacht zu haben. Genausowenig glaubte ich, daß er mich entkommen lassen würde–aber ich wollte es wenigstens versuchen. Ich würde alles vollenden, was meine Mutter für sich selbst gewünscht hatte, als sie noch jung und voller Träume war. Ich würde dafür sorgen, daß ihre Träume wahr wurden, und nicht in dem Schaukelstuhl sitzen, damit Papas Träume wahr wurden.
»Das ist ein dummer Ehrgeiz«, fuhr Papa fort. Noch immer funkelte er Arden so böse an, als wünsche er, er würde auf der Stelle tot umfallen und mich nie wieder belästigen.
»Warten Sie mal’ne Minute, Mr. Adare. Hören Sie auf, Audrina herabzusetzen. Es ist kein dummer Ehrgeiz, wenn sie die Träume ihrer Mutter erfüllen möchte. Audrina ist genau der sensible Mensch, der einen großen Musiker abgeben kann. Und ich kenne genau den richtigen Lehrer für sie. Sein Name ist…«
»Ich will seinen Namen nicht hören!« brauste Papa auf. »Zahlst du ihre Stunden, Junge? Verdammt will ich sein, wenn ich es tue. Der Vater meiner Frau hat ein Vermögen dafür ausgegeben, weil er dachte, seine Tochter würde weltberühmt werden, und sie hat es nicht durchgehalten.«
Aber er vergaß ja alles, was er am Tag von Mammis Tod gesagt hatte. Er bedauerte überhaupt nichts! »Weil sie dich geheiratet hat, Papa!«
Ich schrie so laut, daß die Leute, die noch auf demFriedhof waren, erstaunt die Köpfe nach uns umwandten. Unter ihren interessierten Augen erbleichte ich und richtete meine Augen auf den schlanken, weißen Grabstein, der vor dem sturmgezeichneten Himmel aufragte. Es war beunruhigend, seinen eigenen Namen auf einem Grabstein zu sehen.
»Das ist nicht der richtige Ort, um über deine Karriere zu sprechen«, entschied Papa.
Noch einmal wandte er sich an Arden. »Und Sie, junger Mann, können sich vom heutigen Tage an von meiner Tochter fernhalten. Sie braucht weder Sie noch Ihren Rat.«
»Bis später«, rief Arden, winkte mir zu und zeigte auf seine eigene Art seinen Trotz.
»Der Junge bedeutet nichts als Ärger«, grollte Papa. Irgendwie war es Vera gelungen, über die Rückenlehne zu klettern, und jetzt saß sie zwischen Papa und mir und machte ihn nur noch wütender, als sie Arden wie wild zuwinkte, als wir an ihm vorüberfuhren.
Jetzt, wo Mammi nicht mehr hier war, schien das Haus leer, ohne ein wirkliches Herz, und Papa hatte offenbar den Schaukelstuhl vergessen. Eines Nachts, als ich wieder nicht schlafen konnte, kam mir der Gedanke, daß ich vielleicht auch mit Mutter Kontakt aufnehmen könnte, indem ich mich in den Schaukelstuhl setzte und sang und schaukelte, wie Papa es sich immer wünschte. Ich würde bestimmt nicht schreien, wenn ich meine Mutter wiedersehen würde. Der Gedanke hinderte mich am Einschlafen. Konnte ich es wagen, mich ganz allein in dieses Zimmer zu schleichen? Ohne Papa draußen im Flur? Ja, ich mußte erwachsen werden. Irgend jemand mußte mir beibringen, wie, und Mammi kannte sicher all ihre Fehler und würde mir sagen, wie ich sie vermeiden könnte.
Auf
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