Das Netz im Dunkel
forderte unsere Aufmerksamkeit.
Irgendwie brachte ich die ersten schrecklichen Tage in der Schule hinter mich. Ich tat, was die anderen Mädchen taten, ging in der Masse unter. Ich lächelte, wenn sie lächelten, lachte, wenn sie es taten, und bald fühlte ich mich völlig unehrlich. Manches, was die Mädchen in den Pausenräumen flüsterten, entsetzte mich. Ich wußte nicht,daß Mädchen so redeten. Langsam und allmählich fand ich heraus, was Vera zu dem gemacht hatte, was sie war. Sie machte das alles mit. Ich konnte das nicht. Ich konnte nicht über Witze lachen, die mir gemein und vulgär erschienen und gar nicht witzig. Ich konnte auch das Spiel nicht mitspielen: Erst die Jungs herausfordern, und dann laufen, laufen, denn ich hatte zu viele Visionen von der ersten Audrina an dem regnerischen Tag im Wald. Ich fand nur eine einzige Freundin, das Mädchen, das vor mir saß.
»Das wird schon noch«, tröstete sie mich, als die erste lange Schulwoche vorüber war. »Aber versuch nicht, die reichen Mädchen aus der Stadt mit deinen Kleidern auszustechen…außer du bist auch reich.«
Sie sah mich beunruhigt an. »Du bist reich, nicht wahr? Irgendwie bist du anders. Nicht nur deine Kleider, auch die Art, wie du dich frisierst. Du hast das schönste Haar, das ich je gesehen habe, aber du scheinst aus einem anderen Jahrhundert zu stammen.«
Wie konnte ich ihr sagen, daß ich das Gefühl hatte, aus einer anderen Welt zu stammen? Aus der Welt des neunzehnten Jahrhunderts, alt und antiquiert wie das Haus, in dem ich lebte.
Meine Klasse war nicht so groß, wie Vera vorausgesagt hatte. Meine Schule war eine Privatschule. Deshalb haßte Vera mich noch mehr, denn sie besuchte eine öffentliche Schule.
Ich ging auch weiterhin jeden Nachmittag zum Klavierunterricht. Eines Tages würde ich eine gute Pianistin werden, wenn ich so weitermachte. Lámar Rensdale behandelte mich mit besonderer Freundlichkeit.
»Bist du froh, in der Schule zu sein? Oder wünschst du dir jetzt, ich hätte mich besser um meine Angelegenheitengekümmert?«
»Nein, Mr. Rensdale, ich werde immer dankbar sein für das, was sie getan haben, denn jetzt fange ich an, mich lebendig zu fühlen, und das habe ich nie zuvor getan. Dafür werde ich ihnen ewig dankbar sein.«
»Wiedersehen, viel Glück, und möge deine Musik für alle Zeiten fortleben!« rief er mir nach, als ich aus der Tür stürzte und in den alten Wagen hüpfte, den Billie für Arden gekauft hatte.
Meine Lehrer schienen sehr rücksichtsvoll mit mir zu sein, und ich war froh darüber. Sie lächelten aufmunternd und gaben mir die Bücher, die ich Tag für Tag heimtrug. Nach zwei Monaten fand ich heraus, daß ich über Wissen verfügte, das es so scheinen ließ, als wäre ich schon früher einmal zur Schule gegangen. Vielleicht hatte ich wirklich die Erinnerungen der ersten Audrina übernommen? Oder meine Mutter und meine Tante hatten mich sehr gut unterrichtet, wenn ich am Küchentisch saß. Auch die anderen Lehrer, von denen Papa behauptete, daß er sie angestellt hatte (und an die ich mich nicht erinnern konnte), mußten dazu beigetragen haben.
Ostersonntag wurde Arden zum erstenmal zu uns eingeladen und durfte bei uns am Tisch Platz nehmen. Ich bettelte und flehte und weinte und drohte, weil ich auch Billie dabeihaben wollte, aber Billie hatte abgelehnt. »Komm mich nach dem Essen besuchen. Dann gibt es Schokoladenpudding. Du sagst doch immer, daß deine Tante ihn nicht richtig zubereiten kann.«
Das Essen am Ostersonntag war eine ungemütliche Angelegenheit, weil Papa Arden ständig ausfragte, wer und was sein Vater gewesen war und warum er Frau und Kind verlassen hatte. Während des ganzen Essens flirtete Vera mit Arden, klimperte mit ihren langen Wimpern,drehte und wand sich, um ihre Brüste zu zeigen, die deutlich verrieten, daß sie keinen BH trug. Arden schien von der Größe meines Heims beeindruckt. Er schaute sich um, als fühlte er sich nicht recht wohl und als würde er denken, er selbst könnte sich niemals etwas leisten, was auch nur halb so groß war.
Als der Sommer kam, verbrachten Arden und ich jede Minute zusammen. Er brachte mir im Fluß das Schwimmen bei, richtig zu schwimmen, wie er es tat. Der Grund des Flusses war schlammig und übersät mit Krabben. Etwas Wunderbares ging in diesem Sommer in meinem Innern vor, und ich wollte dem Haus entfliehen; aber so sehr ich mich auch bemühte, Vera hinter mir zu lassen, sie blieb immer auf meiner Spur.
Vera verlangte von
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