Das Netz im Dunkel
Wahrheit würde mir einen solchen Schlag versetzen, daß ich sie besser nie erfuhr? War ich denn wirklich so sensibel? Meine Tante hatte sich so oft darüber lustig gemacht, daß ich das Gefühl hatte, sie und Papa wüßten beide gleichermaßen Bescheid über meine verborgene Schwäche.
Der Schnee tanzte im Wind, die Flocken wirbelten umher wie kleine Ballerinas, sprangen hoch, schwebten herab, formten Bilder, erzählten mir immer wieder, daß ich nie, niemals frei sein würde, genausowenig wieMammi frei gewesen war.
Vera kam durch meine Schlafzimmertür gestolpert. Die kalte Luft hing noch in ihrem Mantel, als sie ihn auszog und über einen zarten Sessel warf. »Rate mal, was ich getan habe!« explodierte sie, kaum fähig, sich zurückzuhalten. Ihre Augen funkelten wie schwarze Kohlen. Die Kälte hatte aus ihren Wangen rote Apfelbäckchen gemacht. An ihrem Hals waren rote Flecken. Flecken, die sie mir jetzt zeigte. »Die sind vom Küssen«, erklärte sie grinsend. »Ich habe diese Flecken überall. Ich bin keine Jungfrau mehr, kleine Schwester.«
»Du bist nicht meine Schwester!« fuhr ich sie wütend an.
»Was macht das schon für einen Unterschied? Ich könnte es genausogut sein. So, jetzt setz dich und hör zu, was in meinem Leben passiert. Und dann vergleiche es mit dem langweiligen Leben, das du selbst führst. Ich habe einen nackten Mann gesehen, Audrina, einen richtigen, nicht bloß ein Foto oder eine Zeichnung. Er war sehr behaart. Das würde man nie vermuten, wenn man ihn angezogen sieht. Sein Haar verläuft von der Brust nach unten, am Nabel vorbei, wird dann schmal und spitz, läuft weiter und wird buschig, bis–«
»Hör auf! Ich will nichts weiter hören!«
»Aber ich will, daß du noch mehr hörst. Ich will, daß du weißt, was du verpaßt. Es war wunderbar, diese ganzen zwanzig Zentimeter in mir zu spüren. Hast du gehört, Audrina? Ich hab’s gemessen…gute zwanzig Zentimeter, und ganz hart und geschwollen.«
Ich lief zur Tür, aber Vera sprang auf und versperrte mir den Weg. Mit überraschender Kraft warf sie mich zu Boden, stellte sich dann mit gespreizten Beinen über mich. Ich wollte sie beiseite stoßen, treten, aber ich hatte Angst,sie könnte fallen und sich wieder einen Knochen brechen.
Jetzt setzte sie ihren Fuß auf meine Brust, die gerade zu schwellen anfing. »Er hat einen prächtigen Körper, kleine Schwester, wirklich, einen phantastischen Körper. Was wir tun, würde dich so sehr schockieren, daß du schreien würdest, möglicherweise würdest du sogar ohnmächtig…und ich habe jede Sekunde genossen. Ich kann überhaupt nicht genug von dem bekommen, was wir zusammen getan haben.«
»Du bist doch erst vierzehn«, flüsterte ich, ehrlich entsetzt, weil sie so irrsinnig wirkte und so schändliche Sachen sagte.
»Aber ich werde bald fünfzehn«, erklärte sie mit hartem Lachen. »Warum fragst du mich nicht, wer mein Liebhaber ist? Ich sag’es dir gern.«
»Ich will es gar nicht wissen. Du erzählst doch die ganze Zeit nur Lügen. Du lügst jetzt auch. Lámar Rensdale würde ein Kind wie dich nicht wollen.«
»Woher weißt du das? Weil er dich nicht haben will? Wer würde dich schon haben wollen, außer einem Jungen wie Arden? Er fühlt sich dir verpflichtet, meint, er müßte dich beschützen…Ich könnte dir so viel erzählen, daß du wahrscheinlich den Verstand verlieren würdest, vollkommen. Jeder, der wirklich bei Verstand ist, weiß, was in seinem Leben geschehen ist–jeder außer dir.«
»Laß mich in Ruhe, Vera!« brüllte ich. »Du bist eine Lügnerin und wirst es immer bleiben. Lámar Rensdale würde dich nicht mehr wollen, nachdem ich ihm von Papa erzählt habe.«
»Was hast du ihm von Papa erzählt?« fragte sie und sah mich mit harten, zusammengekniffenen Augen an.
»Ich habe ihm erzählt, daß Papa riesig ist und ein schreckliches Temperament hat. Und selbst wenn Papanicht dein Vater ist, wird er nicht zulassen, daß du unseren Namen ruinierst.«
Sie lachte so hysterisch, daß sie zu Boden fiel und wie eine Wahnsinnige umherrollte. »Mensch, Audrina, unseren Namen ruinieren? Wie kann man etwas ruinieren, das schon längst zerstört ist? Und wenn du mir nicht glaubst, dann geh doch und frag Lámar. Er hat nichts gegen mein Alter. Er mag junge Mädchen. Die meisten Männer tun das. Mensch, wenn du sehen könntest, wie er rittlings auf mir hockt, ohne einen Fetzen am Leib, und sein Ding…«
Entsetzt und angewidert rannte ich aus dem Zimmer, in die Küche
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