Das Netz
liegen, nur für den Fall, dass er sie durch das Sichtfenster beobachtete. Sie nutzte die Zeit, um über ihre Lage nachzudenken. Zumindest in einer Hinsicht hatte sie ihn überlistet - sie hatte ihn davon abgehalten, die Taschenlampe aufzuheben, die ihm unter die Pritsche gerollt war. Vielleicht würde sie ihr später ja noch nützlich sein.
Nach fünf Minuten setzte sie sich auf und tastete mit den gefesselten Händen nach dem Messer im Stiefelschaft. Nachdem sie es vorsichtig herausgezogen und sich in den Hosenbund gesteckt hatte, holte sie die Beretta aus dem anderen Stiefel. Sie konnte sie zwar nur im äußersten Notfall abfeuern, weil der Knall des Schusses weiß Gott wen auf den Plan rufen würde, aber immerhin gab ihr die Waffe ein gewisses Gefühl der Sicherheit.
Zum wiederholten Male fragte sich Paula, wo sie war, und ließ die letzten Minuten vor ihrem Black-out noch einmal Revue passieren. Kurz nachdem sie von Drew Franklin weggegangen war, hatte sie einen Schlag auf den Hinterkopf erhalten und war bewusstlos geworden. Aber wer hatte ihr den Schlag verpasst? Paula beschloss, ihren Kreislauf wieder in Gang zu bringen, und streckte erst die Beine, dann die Arme abwechselnd von sich und zog sie wieder an. Nachdem sie das ein paar Dutzend Mal getan hatte, überlegte sie, ob sie ihre Fesseln mit dem Messer so präparieren sollte, dass sie sie bei passender Gelegenheit leicht durchreißen konnte, entschied sich dann aber dagegen. Das Risiko, dass der junge Mann die Fesseln kontrollierte, war einfach zu groß.
Als Paula hörte, wie der Schlüssel auf einmal wieder umgedreht wurde, legte sie sich rasch wieder hin und stellte sich schlafend. Sie durfte jetzt keinen Fehler machen, nun ging es nämlich um Leben und Tod.
Der Mann war zum Glück allein und wiederholte dieselbe Prozedur wie zuvor: Als er in Paulas Zelle war, schloss er die Tür von innen ab und ließ den Schlüssel stecken. Diesmal hatte er allerdings kein Wasser dabei. Als er sich über sie beugte, blinzelte sie leicht und tat so, als wäre sie eben aufgewacht. Der Mann setzte sich wieder auf den Rand der Pritsche.
»Also, Puppe, was weiß Tweed über uns?«, fragte er ohne Umschweife.
Er hob die rechte Hand, strich ihr damit zunächst sanft über die Wange und schlug ihr dann urplötzlich mit voller Wucht ins Gesicht. Aber Paula ließ sich dadurch nicht aus der Fassung bringen.
»Wen meinen Sie mit ›uns‹?« fragte sie leise.
»Ich stelle hier die Fragen. Gegen wen ermittelt Tweed?«
»Das weiß ich nicht.«
»Muss ich dir wirklich erst dein hübsches Gesicht so zurichten, dass dich in Zukunft kein Mann mehr freiwillig anschaut?«, sagte er mit eiskalter Stimme. Er hatte auf einmal einen Krummdolch in der Hand, mit dem er Paula dicht vor der Nase herumfuchtelte.
Paula rührte sich keinen Millimeter und tat so, als wäre sie starr vor Angst.
»Ich sage alles«, flüsterte sie mit gebrochener Stimme. »Alles, was Sie wissen wollen. Aber bitte... bitte... stecken Sie den Dolch weg. Da kann ich ja keinen klaren Gedanken fassen.«
Mit einem selbstzufriedenen Grinsen nahm der Mann den Dolch von ihrem Gesicht weg und wollte ihn in eine an seinem Gürtel befestigte Scheide stecken. Jetzt oder nie!, dachte Paula. Mit einem Ruck schnellte sie nach oben, riss ihr Messer aus dem Hosenbund und rammte es dem völlig überraschten Mann mit aller Kraft zwischen die Rippen. Der Mann ließ den Dolch fallen und starrte mit ungläubigem Staunen zuerst auf Paula und dann auf den Griff ihres Messers, der inmitten eines zusehends größer werdenden Blutflecks aus seinem T-Shirt ragte. Dann stieß er einen röchelnden Schrei aus und stürzte sich auf Paula, die ihm aber geschickt auswich, indem sie sich von der Pritsche gleiten ließ. Der Schlag des Mannes ging ins Leere, worauf er taumelnd um sein Gleichgewicht rang. Paula nahm, so gut es mit ihren gefesselten Füßen ging, einen kurzen Anlauf und warf sich mit der Schulter gegen seinen Oberkörper, wobei sie das Messer noch tiefer in die Wunde trieb. Hellrotes Blut spuckend, torkelte der Mann nach hinten und schlug mit dem Hinterkopf genau auf die in der Wand eingelassene Steinplatte mit den arabischen Schriftzeichen. Er stieß einen gurgelnden Schmerzensschrei aus, der Paula durch Mark und Bein ging, und sackte dann an der Wand entlang zu Boden, wo er regungslos liegen blieb.
Paula trat auf den Toten zu, fühlte seinen Puls und zog dann ihr Messer aus seiner Brust. Nachdem sie das daran haftende Blut am
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