Das Netz
Abhang nach links. Als sich der Nebel für einen Augenblick lichtete, erkannte sie, dass sie sich auf halber Höhe einer Geröllhalde befand. Etwa fünfzig Meter unter ihr lag die Lore, deren Fracht auf mehrere Meter im Umkreis verstreut lag, zerschmettert zwischen großen Gesteinsblöcken, die so aussahen, als wären sie vor nicht allzu langer Zeit aus der gegenüberliegenden Felswand herausgebrochen.
Auf einmal sah Paula, wie sich vom oberen Rand des Steinbruchs ein weiterer riesiger Gesteinsbrocken löste. Mehrmals am Abhang aufschlagend, polterte er mit lautem Getöse nach unten. War dort oben jemand? Sie spähte angestrengt hinauf, konnte aber niemanden entdecken. Offenbar war das Gestein so brüchig, dass sich der Felsbrocken von selbst gelöst hatte.
Wenn sie nicht erschlagen werden wollte, musste Paula schleunigst von hier verschwinden. Zum Glück löste sich der Nebel zunehmend auf, sodass sie mittlerweile halbwegs erkennen konnte, wohin sie kletterte. Minuten später hatte sie den Rand des Steinbruchs erreicht. Vor sich sah sie ein hölzernes Gebäude, das ihr irgendwie bekannt vorkam. Das war doch tatsächlich der Schuppen hinter Mrs Gobbles Haus! Paula befand sich also immer noch in Carpford.
So schnell sie konnte, rannte sie um den Schuppen herum, wobei sie mehrmals stolperte und einmal sogar der Länge nach hinschlug. Mit zitternden Händen öffnete sie das schwere Holztor und stellte mit einem Seufzer der Erleichterung fest, dass ihr Auto noch immer dort stand. Mit Tränen in den Augen schickte sie ein heißes Dankgebet gen Himmel.
25
Zum Glück sprang der Wagen sofort an. Paula fuhr aus dem Schuppen, bog nach links ab und verließ Carpford auf dem schnellsten Weg. Dabei war sie wild entschlossen, jeden, der sich ihr in den Weg stellen mochte, ohne mit der Wimper zu zucken zu überfahren. Zum Glück hatte sich der Nebel oben auf dem Plateau bereits vollständig aufgelöst, denn als sie zwischen Mrs Gobbles Laden und Drew Franklins Betonbunker zwei Gestalten, beide im Wintermantel, auf sich zukommen sah, erkannte sie gerade noch rechtzeitig, dass es sich dabei um Tweed und Beaurain handelte. Paula legte eine Vollbremsung hin und sprang unverzüglich aus dem Wagen.
Tweed stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Die beiden sanken sich in die Arme, und Paula legte ihren Kopf an seine Brust. Während sie weinte, strich ihr Tweed beruhigend über das Haar.
»Tweed war ganz außer sich vor lauter Angst um Sie«, sagte Beaurain, nachdem Paula sich von Tweed gelöst und den Belgier ebenfalls in die Arme geschlossen hatte.
»Jules! Bin ich froh, Sie zu sehen.«
Tweed gab ihr ein Taschentuch, damit sie sich die Tränen abwischen konnte. Vor Freude zitterte sie am ganzen Körper.
»Alles in Ordnung, Paula?«, fragte Tweed mit sanfter Stimme.
»Mir geht es gut. Aber ich habe einen Bärenhunger.«
»Dann sollten wir auf der Stelle zum Peacock fahren und uns ein ordentliches Frühstück gönnen«, sagte Beaurain. »Ich fahre, und Sie können es sich neben Tweed auf dem Rücksitz bequem machen.«
Als Beaurain den Wagen aus Carpford hinaussteuerte, legte Paula den Arm um Tweed. Nach etwa hundert Metern kamen sie an Newman vorbei, der am Straßenrand stand und mit hochgerecktem Daumen das Okay-Zeichen machte. Paula erwiderte die Geste und schaffte es sogar, ihren Kollegen freundlich anzulächeln. Kurz darauf fuhren sie an Marler, Butler und Nield vorbei, die ihr alle erleichtert zuwinkten.
Dann hatten sie Carpford hinter sich und fuhren den Hügel hinunter zu der Stelle, an der man Mrs Warners Wagen gefunden hatte.
»Wie viele von uns sind denn hier heraufgekommen?«, fragte Paula.
»Alle«, antwortete Tweed, der jetzt sehr viel ruhiger wirkte. »Als ich von meinem Essen mit Eva Brand zurückkam und Monica mir erzählte, dass Sie nach Carpford gefahren sind, habe ich sofort alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Sie zu finden. Auch Buchanan ist hier. Wir waren gerade dabei, den ganzen Ort auf den Kopf zu stellen.«
»Ach ja, ich sollte vielleicht Buchanan anrufen, um ihm zu sagen, dass wir Paula gefunden haben«, sagte Beaurain vom Fahrersitz her. Die eine Hand am Steuer zog er mit der anderen sein Handy aus der Tasche. Kurz darauf teilte er dem Superintendent die gute Nachricht mit.
»Buchanan lässt Sie schön grüßen, Paula«, sagte Beaurain nach Beendigung des Telefonats. »Er ist ja so erleichtert. Eigentlich wollte er mit Ihnen sprechen, aber ich habe ihm gesagt, dass er sich noch etwas
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