Das Netz
verächtlichen Grinsen. »Billy ist leider ein haltloser Trinker.«
»Das habe ich gehört, Martin!«, rief Billy, der noch immer in der Wohnzimmertür stand, aus dem Hintergrund. »Mein Bruder hat vergessen, Ihnen zu sagen, dass er sich den Bungalow und seine teuren Anzüge nur deshalb leisten kann, weil er eine ganze Stange Geld von unserem Onkel geerbt hat. Ich hingegen musste für meinen Lebensunterhalt immer hart arbeiten. Aber jetzt sollten Sie lieber gehen, Miss Grey, sonst kann Martin seine Finger überhaupt nicht mehr in Zaum halten.«
»Ich wünsche Ihnen beiden eine gute Nacht«, sagte Paula.
Sie trat hinaus in den Nebel, und Martin schloss die Tür hinter ihr. Ein haltloser Trinker? Als Martin vorhin mit dem Kaffee aus der Küche gekommen war, hatte Billy demonstrativ einen Schluck aus dem Bierglas genommen und es dann absichtlich laut abgestellt. Offenbar spielte er seinem Bruder den Trinker nur vor. Aber warum?
Ein paar Meter von Billys Bungalow entfernt blieb Paula stehen. Der Nebel zog in dichten Schwaden über die Straße. An der Rückwand lehnte eine schwere Harley-Davidson. Der geheimnisvolle Bote war demnach immer noch in Carpford.
Paula beschloss, um das Ende des Sees herum zu Drew Franklins Betonbunker zu gehen, wo immer noch Licht brannte. Die Chance, den Journalisten befragen zu können, kam bestimmt nicht so schnell wieder. Nachdem sie den viereckigen Klingelknopf gedrückt hatte, war im Inneren des Gebäudes kein Geräusch zu hören. Sie wartete eine Weile und wollte gerade wieder gehen, da wurde plötzlich die Tür doch noch aufgerissen. Ein schlanker, gut aussehender Mann mittlerer Größe starrte sie herausfordernd an.
»Was wollen Sie, Miss Grey?«, sagte er und musterte sie von Kopf bis Fuß. »Von mir aus können Sie gern reinkommen. Sie sehen so aus, als könnte man was mit Ihnen anfangen.«
Franklin führte Paula in ein großes, geschmackvoll mit Antiquitäten eingerichtetes Wohnzimmer. Er trug eine weiße Bundfaltenhose und einen eierschalenfarbenen Rollkragenpullover, hatte sorgfältig frisiertes, dunkelbraunes Haar und intelligente Augen. Sein Kinn war kräftig, wirkte aber nicht aggressiv. Nachdem er die Tür geschlossen hatte, ging er zu dem Sofa, das neben dem großen Schreibtisch stand.
»Darf ich Ihnen die Jacke abnehmen?«, sagte er.
Paula, die wusste, dass Franklin als notorischer Weiberheld galt, der selbst vor verheirateten Frauen nicht Halt machte, beschloss, sich nicht von ihm einwickeln zu lassen. Sie zog sich die Jacke zwar aus, faltete sie aber zusammen und hängte sie sich über den linken Unterarm.
»Danke, sehr aufmerksam, aber ich bleibe nicht lange. Und ›etwas anfangen‹ werden Sie mit mir bestimmt nicht, darauf gebe ich Ihnen Brief und Siegel.«
»Genau so habe ich Sie mir vorgestellt. Eine Frau, die weiß, was sie will.«
»Woher wissen Sie überhaupt, wer ich bin?«
»Es gehört nun mal zu meinem Job, über die wichtigen Leute der Gesellschaft Bescheid zu wissen. Aber nehmen Sie doch bitte Platz.«
»Danke, aber ich bleibe lieber stehen. Ich habe heute schon genug gesessen.«
»Wie Sie wollen«, entgegnete Franklin liebenswürdig und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Kannten Sie Mrs Warner eigentlich persönlich?«
»Sie reden wohl nicht gern um den heißen Brei herum, was, Miss Grey? Das gefällt mir. Ja, ich kannte Linda Warner, aber leider nur oberflächlich. Ich mochte sie, was aber nicht auf Gegenseitigkeit beruhte. Ihr Mann ist übrigens ein ausgemachter Volltrottel. Wollen Sie mal lesen, was ich in meiner nächsten Kolumne für die Daily Nation über ihn schreibe?«
Er ging hinüber zum Schreibtisch, auf dem ein Computer stand, und nahm eine Seite aus dem Drucker. Nachdem er einen Absatz mit rotem Stift markiert hatte, gab er Paula das Blatt zum Lesen. Sie überflog rasch die witzig formulierten Bosheiten über bekannte Mitglieder der Londoner Society und las dann das, was Franklin eingekringelt hatte:
Hat die Polizei eigentlich jemals in Betracht gezogen, dass Linda Warner vielleicht mit einem Liebhaber durchgebrannt sein könnte? Ihr Ehemann jedenfalls scheint sich mehr Sorgen um die Saint Paul’s Cathedral zu machen als um sie. Wenn man davon ausgeht, dass Terrororganisationen wie die El Kaida vornehmlich an spektakulär hohen Opferzahlen interessiert sind, erscheint mir das Gotteshaus als ein ziemlich unwahrscheinliches Ziel für einen etwaigen Anschlag.
»Könnte Warner
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