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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Tageszeitung in Taschkent erwähnte den Vorfall mit keinem einzigen Wort, und die Demonstranten blieben in Untersuchungshaft, während der KGB herauszufinden versuchte, wer hinter der Demonstration steckte.
    Als Taylor bei ihrem nächsten Treffen Munzer von den Vorfällen am Quadiri-Heiligtum berichtete, dramatisierte er sie ein wenig und drängte den Usbeken, sofort seinem Freund Khojaew davon zu erzählen. Der Journalist, so sagte Taylor, solle unbedingt im
Groß-Turkestan
darüber berichten. Sobald der Artikel erschienen sei, würde Taylor dafür sorgen, dass möglichst vieleExemplare des Magazins nach Usbekistan geschmuggelt und dort verteilt wurden. Das erweckte Munzers Neugier.
    «Und wie wollen Sie das schaffen, mein Freund?», fragte er. «Die sowjetische Grenze ist etwas anderes als die zwischen New York und New Jersey.»
    «Richtig. Aber die Berliner Mauer ist sie nun auch wieder nicht. Es gibt schon Stellen, an denen sie etwas durchlässiger ist.»
    «Klar. Aber können Sie mir das nicht genauer sagen?»
    «Wir bringen die Magazine erst nach Pakistan, dann schmuggeln wir sie über Afghanistan nach Usbekistan.»
    «Nach Pakistan?»
    «Nach Peschawar», sagte Taylor. «In Peschawar findet man alles.»
    «Auch Leute, die Zeitschriften über die Grenze schmuggeln?»
    «Ja. Auf Lastwagen, mit dem Pferd oder zu Fuß.»
    «Ich verstehe. Keine weiteren Fragen.»
    Eigentlich war Taylor fast schon fertig, aber dann fand er es doch merkwürdig, dass Munzer ihm so detaillierte Fragen stellte, was sonst gar nicht seine Art war. Es klang so, als wiederhole er Fragen, die ihm jemand anderer gestellt hatte. Vielleicht wurde ja doch irgendwo irgendwer langsam nervös.
    «Warum fragen Sie mich danach, wie die Magazine über die Grenze kommen?», drängte Taylor. «Hat Sie vielleicht jemand danach gefragt?»
    «Sie wissen ja, wie das ist. Die Leute sind nun mal neugierig.»
    «Nein, das weiß ich nicht. Wer genau hat Sie das gefragt?»
    «Ach, das war Khojaew. Sein Freund Abdallah aus Taschkent wollte wissen, wie die Flugblätter ins Land kommen.»
    «Tatsächlich? Und warum wollte er das? Hat ihn jemand danach gefragt, zum Beispiel unser amerikanischer Freund?»
    «Wieso denn der? Wenn er für Sie arbeitet, muss er doch nicht Abdallah fragen, damit dieser Khojaew fragt und der über mich schließlich Sie, einen anderen Amerikaner.»
    «Lassen Sie sich deshalb mal keine grauen Haare wachsen, Munzer», sagte Taylor mit einem dünnen Lächeln. «So sinnlos ist das gar nicht.»
     
    Munzer Achmedow war in Omars Kneipe bald sehr beliebt. Als er zum ersten Mal hinging, war es Donnerstag, der Abend vor dem heiligen Freitag, an dem muslimische Männer gerne ausgingen. Sonia entdeckte ihn sofort. Er war ein nett aussehender Mann mit einem rundlichen Gesicht, der in einer Ecke saß und sich an einer Coca-Cola festhielt.
    «Sind Sie Mr.   Munzer?», fragte sie.
    Munzer nickte schüchtern. Selbst nach fünfundzwanzig Jahren in Brooklyn fühlte er sich immer noch ein wenig unbehaglich, wenn eine fremde Frau ihn ansprach. Als Sonja ihm dann aber erzählte, sie habe schon viel von seinen Aktivitäten als Freiheitskämpfer gehört, und sich zu ihm setzte, um mit ihm ein wenig über seine alte Heimat zu plaudern, taute er immer mehr auf. Er bestellte sich ein Bier, dann noch eines, und als eine Stunde später Khojaew kam, ließ er sogar eine Flasche Sekt springen. Sonja stellte Munzer Omar und einigen Stammgästen vor – Kasachen, Turkmenen und einem dunkeläugigen Tschetschenen, der so finster dreinblickte, als wollte er jeden Augenblick jemandem die Kehle durchschneiden. Den ganzen Abend lang hatten sie großen Spaß miteinander. Sie redeten viel, und manche tanzten und sangen, während sich die älteren Männer mit dem Rücken an die Wand lehnten und sich an den Händenhaltend über Politik redeten. Kurz nach Mitternacht stimmte Sonja ein Medley turkestanischer Lieder an, und alle sangen mit. Es war ein wunderbarer Abend, an dem eigentlich nur einer fehlte: der große, blonde Filmemacher aus British Columbia.
     
    Dass Jack Rawls Ende Juli nach Istanbul zurückgekehrt war, erfuhr Taylor nur über Umwege. Während der Wochen des Wartens auf den Kanadier hatte er die Türken darum gebeten, Silvana Kunajewa, die Gattin des sowjetischen Generalkonsuls, besonders intensiv zu beschatten. Sie führte sie zwar nicht direkt zu Rawls – dazu war sie viel zu vorsichtig   –, aber eines Vormittags suchte sie einen gewissen Mr.   Guztepe auf,

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