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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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meistenvon ihnen hatten unter Wlassow auf der Seite der Deutschen gekämpft oder waren einfach desertiert. Und Stalin wollte sie zurückhaben. Wenn mich nicht alles täuscht, hatte Ihr Vater die Aufgabe zu entscheiden, welche wir brauchen können.»
    «Und was geschah mit den anderen?»
    «Die hat er nach Russland zurückgeschickt.»
    «Wo sie getötet wurden?»
    «Die meisten. Es war die Hölle. Die armen Kerle haben sich an uns geklammert, geheult und gebettelt. Bloß nicht in den Zug steigen. Einige hätten sich lieber davor geworfen als in die Sowjetunion zurückzukehren. Scheußliche Arbeit.»
    «Wie ist mein Vater damit umgegangen?»
    «Irgendwann hat er beschlossen, dass das alles nur Mist ist. Die Arbeit beim Geheimdienst, meine ich. Und dann ist er gegangen. Hat er Ihnen das nie erzählt?»
    «Nur mal eine Andeutung», sagte Anna. «Kurz vor seinem Tod.»
    «Was hat er da gesagt?»
    «Er sagte, ich solle auf keinen Fall Spionin werden. Mehr konnte ich dann aber nicht aus ihm herauskriegen.»
    «Warum zum Teufel sind Sie dann hier? Das hätten Sie doch besser wissen müssen.»
    Anna dachte kurz nach. «Ich wollte etwas tun, womit ich etwas verändern kann.»
    «Die Welt besser und sicherer machen?»
    «So ungefähr, ja. Ich weiß, das hört sich ziemlich albern an.»
    «Nein», sagte Hoffman. «Das hört sich gar nicht albern an. Nur gefährlich.»
     
    33  In Istanbul gingen Taylor inzwischen die Köder aus. Wie bisher traf er sich mindestens einmal die Woche mit Munzer Achmedow, versorgte ihn mit Abhandlungen und Flugblättern aus seinem langsam dahinschmelzenden Fundus und wartete darauf, dass die Sowjets endlich reagierten. Mitte Juli traf eine neue Lieferung aus Washington bei ihm ein. Sie kam als ganz normales Postpaket und enthielt Nachdrucke eines weiteren Titels aus Stones zentralasiatischer Bibliothek, der «Dar ul-Rahat Musulmanlari» hieß – «Des Muslims Land der Glückseligkeit». Der Verfasser war ein Tatare namens Ismail bey Gasprali. Das Buch war 1891 in Bakhchisarai erschienen – eine Art muslimischer Science-Fiction, die in leuchtenden Farben den perfekten islamischen Staat der Zukunft ausmalte. Munzer war hocherfreut über dieses neue subversive Werk und verteilte es voller Stolz an seine Freunde. Aber auch das «Land der Glückseligkeit» lockte die Russen nicht hinter dem Ofen hervor.
    Als der Tag, an dem die Demonstration in Taschkent stattfinden sollte, verstrichen war, fragte Munzer bei Taylor nach, was denn dort geschehen sei. Auch Taylor wusste es nicht, weshalb er die Anfrage an Stone weiterleitete – in einem Luftpostbrief, weil der alte Mann keine CIA-internen Mitteilungen erhalten wollte. Laut Stone war die Post immer noch die sicherste Form, um über Kontinente hinweg zu kommunizieren. Es dauerte eine Woche, bis Taylor Antwort bekam. Stone erwähnte nicht, wie er an die Informationen gekommen war, aber aus der Fülle der darin enthaltenen Details schloss Taylor, dass der Alte es entweder geschafft haben musste, einen Agenten in Taschkent einzuschleusen, oder aber den Bericht frei erfunden hatte.
    In dem Papier wurde ausführlich beschrieben, wie sich nach dem Freitagsgebet in der islamisch geprägten Altstadt einekleine Gruppe von etwa zwanzig Menschen vor dem Gebäude des Muslimischen Gremiums für Zentralasien am Chorsu Platz versammelt hatte. Das Gremium war eine Sowjet-Institution, weshalb es von der Bevölkerung mit Skepsis betrachtet wurde. In der Woche zuvor waren auf dem Markt ein paar Flugblätter herumgegangen, in denen zu der Demonstration aufgerufen worden war, aber die meisten der Anwesenden schienen eher Schaulustige als Demonstranten zu sein. Offenbar waren die Flugblätter auch in die Hände des örtlichen KGB und der Miliz gelangt, denn deren Beamte waren in großer Anzahl vor Ort.
    Das bunt zusammengewürfelte Häuflein Demonstranten marschierte vom Gebäude des Gremiums zu den Ruinen einer alten, etwa hundert Meter entfernten Moschee, die dem Gedenken an Abu Bakr Mohammed Khafal Shasti gewidmet war und den Angehörigen der Quadiri-Bruderschaft als heiliger Ort galt. Als die Demonstranten die von Unkraut überwucherten Überreste der Moschee erreichten, entfaltete einer von ihnen – möglicherweise ein vom KGB eingeschleuster V-Mann – ein Transparent mit dem bekannten Vers aus dem Koran: «Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.» Der Mann wurde auf der Stelle verhaftet, zusammen mit zehn weiteren Demonstranten. Die parteitreue

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