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heraufwehte, wirkte das Gebäude ziemlich stattlich. Auch wenn es nicht ganz so prächtig war wie das sowjetische Konsulat, ein nur wenige Straßen entfernter, lachsfarbener Palast, stand es doch auf sehr viel soliderem Grund und Boden als die Absichten, die Amerika Ende der Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts in diesem Teil der Welt verfolgte.
Weil der Reeder Corpi aus Genua, der das Haus um das Jahr 1870 erbaut hatte, mit eigens aus Italien importiertem Marmor und Rosenholz nicht gerade knauserig gewesen war, sprachen die etwas gebildeteren Konsulatsangestellten auch nach über hundert Jahren noch gerne vom «Palazzo Corpi». Signor Corpi war wenige Monate nach der Fertigstellung seines Traumhauses verstorben und hatte nicht mehr viel Zeit gehabt, sich an den Deckenfresken des Speisezimmers zu erfreuen, auf denen äußerst spärlich bekleidete Nymphen und Satyrn herumtollten. Aber auch den Amerikanern ging es nicht viel besser. Zwar waren die Fresken 1907, als sie das prunkvolle Gebäude erwarben – angeblich nur, weil der Botschafter in der Türkei beim Pokern gegen den Speaker des Repräsentantenhauses gewonnen hatte –, noch zu sehen gewesen, doch in den Dreißigerjahrenhatte dann die besonders prüde Gattin des damaligen Botschafters die vermeintliche Pornographie mit weißer Farbe übermalen lassen.
Und so verfluchte Taylor jedes Mal, wenn er zu der langweilig weißen Decke hinaufblickte, innerlich die längst verstorbene Diplomatengattin. Für ihn symbolisierte sie jenen unangenehmen Zug im amerikanischen Nationalcharakter, der alles, was ihm in der Welt nicht gefiel, am liebsten zukleistern und übertünchen wollte. Auch wenn manche Menschen diese amerikanische Eigenheit eher als harmlos ansahen, regte sie Taylor 1979 ganz ungemein auf.
Alan Taylor war der Bürochef des CI A-Stützpunkts in Istanbul. Dass er keinen größeren Posten mit mehr administrativen Aufgaben erhalten hatte, lag daran, dass er bei seinen Vorgesetzten als «geborener Rekrutierer» galt, was innerhalb der CIA nicht unbedingt ein Kompliment war. Taylor war ein gutaussehender Mann, knapp einen Meter achtzig groß, mit schmalen Hüften und einem kräftigen Brustkorb, weshalb er hin und wieder trotz seiner vornehmen Gesichtszüge für einen Faustkämpfer oder einen Rausschmeißer gehalten wurde. Obwohl er sonst keinen pedantischen Eindruck machte, war sein dunkles Haar stets perfekt gekämmt und streng aus dem Gesicht gebürstet.
Taylor war schon Ende dreißig, wirkte aber jünger, und obwohl man ihn wegen seines europäischen Aussehens und seiner guten Manieren auch für einen Engländer oder Franzosen hätte halten können, war er doch durch und durch Amerikaner, wenn auch von einem anderen Schlag als die sinnenfeindliche Frau des früheren Botschafters: Er war der rebellische Junge aus gutem Hause, der Privatschulabsolvent, dem nichts größeren Spaß machte, als der Welt zu verstehen zu geben, sie solle sich zum Teufel scheren. Trotzdem sagten Männer wie Frauen gern,Taylor sei der netteste Mensch, den sie jemals getroffen hätten. Er war, wie schon gesagt, der geborene Rekrutierer.
Leute wie er gehörten in der immer gleichförmigeren Welt der amerikanischen Geheimdienste zu einer aussterbenden Gattung, und diese Entwicklung wurde in der Zentrale eher begrüßt als bedauert. Zum Teufel mit den Machos von den Eliteuniversitäten, den Jungs aus Beacon Hill, die fluchten, als stammten sie aus Süd-Boston. Die neueste Masche in Langley bestand darin, gute Verkäufer als Agenten anzuwerben. Natürlich keine Gebrauchtwagenhändler, sondern Leute, die wirklich große Geschäfte abwickelten. Meistens kamen sie mit einem hervorragenden Abschluss von der Penn State University und wurden von General Electric eingestellt, um mehrere Millionen Dollar teure Turbinen zu verkaufen. In so einem Job musste man schon mal ein Jahr lang geduldig warten können, bis man einen großen Deal eingefädelt hatte, man musste seinen Kunden treuherzig in die Augen sehen und ihnen ein gutes Gefühl vermitteln, während man ihnen das Blaue vom Himmel herunterlog. Wenn Taylor einen Fehler hatte, dann den, dass er kein Verkäufer war.
Ihm wäre es nicht im Traum eingefallen, das Konsulatsgebäude «Palazzo Corpi» zu nennen. Seine Frau hatte das getan, bevor sie ihre Sachen gepackt und Istanbul verlassen hatte – eines der vielen kleinen Dinge, die ihm auf die Nerven gegangen waren. Eigentlich hätte sie lieber einen Diplomaten heiraten sollen, einen von
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