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diesen robusten Typen, die ihre Zeit damit verbrachten, unverständliche Telegramme aufzugeben, mit denen sie den FORMIN des GOT von einem Besuch beim POLOFF informierten. Taylors Frau hatte die CIA verabscheut und seine Tätigkeit dort als «Sandkastenspiele» bezeichnet. Auch das hatte sie mit den meisten Diplomaten gemeinsam.
Beim Außenministerium stand die CIA nicht sonderlich hoch im Kurs. In den vergangenen Jahren hatte sie die Beamten dort so nervös gemacht, dass man sie selbst in verschlüsselten Mitteilungen höchster Geheimhaltungsstufe inzwischen nur noch die «Abteilung für Spezialinformationen» nannte. Später, als dem Außenministerium selbst das noch zu anrüchig erschien, hatte man ihr mit den vier Buchstaben «SIRO» einen frei erfundenen Code verpasst, der zwar eine Assoziation von klingenden Worten wie «Shirokko» oder «Seraglio» weckte, in Wirklichkeit aber rein gar nichts bedeutete.
Taylor betrat das pompöse Hauptgebäude des Konsulats nur dann, wenn es unbedingt nötig war. Er selbst war eher in dem schmucklosen Anbau direkt daneben zu Hause, der grau wie der Schlamm des Bosporus gestrichen war und neben den Büros vieler Konsulatsangestellter auch das von Taylor beherbergte. Von seinem Fenster aus konnte er ein Stück des in derselben Straße gelegenen, alten Hotels Pera Palas sehen, und wenn er sich in Gedanken verlor (was ziemlich häufig der Fall war), dann stellte er sich vor, wie es dort in der Anfangszeit des Spionagegeschäfts ausgesehen haben mochte: eine Hotelhalle voller absurd auffälliger Geheimdienstler aus sämtlichen Hauptstädten Europas, die Zigarren rauchten und sich gegenseitig die wildesten Geschichten erzählten, dazwischen mysteriöse Männer aus allen Teilen des Orients, die ihnen ihre Informationen verkauften, und exotische, schon etwas verlebte Frauen, die auf dem Weg zum Lift waren, um zu ihren Stelldicheins in den oberen Stockwerken zu gelangen. Man erzählte sich, dass sogar Mata Hari einmal in diesem Hotel abgestiegen sei. Taylor hatte sie immer als maßlos überschätzt belächelt, bis er eines Tage gelesen hatte, dass die Dame, die zeitgenössischen Berichten zufolge eine recht kurvenreiche Figur gehabt haben sollte, inWirklichkeit eher flachbrüstig gewesen sei und selbst im Bett einen ausgestopften BH getragen habe. Seit er das wusste, bewunderte er sie als durchtriebene Agentin und Meisterin der Verkleidung. Wenn er nach der Arbeit noch auf einen Drink ins Pera Palas ging, zitierte er häufig ihren Geist herbei und stellte sich vor, wie sie wohl gewesen sein mochte. In der Bar waren für gewöhnlich zwar nur vollbusige deutsche Touristinnen und dümmliche amerikanische Mädchen auf der Suche nach einem Urlaubsabenteuer, aber sie waren immerhin ein netter Zeitvertreib, auch wenn sie nichts von einer Mata Hari hatten.
Taylors größtes Problem im Januar 1979 bestand aus den Türken. Die Türkei war eines der gefährlichsten Pulverfässer der Welt, was aber wegen des Durcheinanders, das derzeit im Iran herrschte, völlig in Vergessenheit geriet. Die Flucht des Schahs und die explodierenden Ölpreise hatten an den Börsen in New York und London zu Erdstößen geführt, deren zusehends stärkere Nachbeben auch Istanbul und Ankara bis in die Grundfesten erschütterten. Dabei waren weniger die langen Schlangen vor den Tankstellen das Problem, sondern vielmehr die Tatsache, dass es in der Türkei vielerorts überhaupt kein Benzin mehr gab. Anfang des Jahres waren die Ölpreise um achtzig Prozent gestiegen, und sie stiegen immer weiter. Hinzu kam, dass beinahe täglich der Strom ausfiel und in den Regalen im Supermarkt gähnende Leere herrschte. Die Türken reagierten auf diese düsteren Zeiten, indem sie das Einzige taten, wozu sie noch fähig waren: Sie brachten sich gegenseitig um.
So hatte der Winter in der Türkei mit einem Massaker in Kahramanmaras begonnen, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Südosten Anatoliens. Die Unruhen hatten wenige Tage vor Weihnachten mit dem Protest ortsansässiger Linker gegen den Tod zweier Lehrer eingesetzt. Die Linken sprühten Protestsprüchean die Hauswände und skandierten Parolen gegen die Behörden. Als sie schließlich anfingen, Steine zu werfen, eröffnete die Armee das Feuer, und bis zum ersten Weihnachtsfeiertag wurden in Kahramanmaras 109 Menschen getötet und mehr als tausend verletzt. Außerdem wurden mehr als 500 Geschäfte zerstört. Die Gewalt griff rasch auf andere Städte über, und am 26.
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