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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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sagen.»
    «Versuchen reicht nicht. Ich brauche eine Antwort.»
    Anna sah aus dem Fenster ihrer Suite hinaus in den kleinen grünen Garten, der von einem schmalen Hof umschlossen wurde. Sie wollte schrecklich gern ja sagen, denn in gewisser Weise war dies der Moment, von dem sie träumte, seit sie beim Geheimdienst war. Der Moment, in dem Idealismus und Aktionsbereitschaft aufeinandertrafen.
    «Wie lautet Ihre Antwort?», drängte Antoyan.
    «Ja.»
    «Und was heißt ‹ja›?»
    «Ja, ich werde meinen Kollegen diese Zeichnung zeigen und sie dazu bewegen, Ihren Wünschen zu entsprechen.»
    «Und wenn sie ablehnen?»
    «Das werden sie nicht tun. Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn ich ein Versprechen gebe, halte ich es auch.»
    Aram schloss die Augen. Er wirkte plötzlich vollkommen erschöpft, als hätte man alle Anspannung und alle Emotionen von seinem Gesicht gewischt. Langsam stand er auf und sah sich im Zimmer um.
    «Ich muss jetzt gehen», sagte er.
    «Bleib noch ein wenig», sagte Anna sanft. Es war ihr fast schon peinlich, doch sie wünschte sich, dass dieser junge Mann aus dem Kaukasus noch ein wenig bei ihr blieb, sie in den Arm nahm. Es ging ihr gar nicht so sehr um Sex als um etwas viel Zarteres. Sie wollte sein Gesicht berühren, ihm die Schultern massieren, zusehen, wie sich diese großen, traurigen Augen schlossen und er neben ihr einschlief.
    «Ich muss gehen», wiederholte er. «Wenn ich bleibe, wird es gefährlich für mich. Und für dich.»
    Sie sah noch einmal in den ummauerten Garten hinunter und drehte sich dann zu Aram Antoyan um. «Weißt du, Aram,ich hatte das alles ganz falsch eingeschätzt. Ich dachte, ich verführe dich, dabei hast du die ganze Zeit mich verführt.»
    «Du täuschst dich immer noch. Hier verführt niemand irgendwen. Das hier ist Realität.»
    Anna nickte.
    «Ich werde mit meinen Kollegen sprechen», sagte sie.
    «Ja.»
    «Das wird vermutlich etwa eine Woche dauern.»
    «Gut.»
    «Und wenn sie einverstanden sind, dauert es noch mindestens einen Monat, all das hier zusammenzustellen.» Sie deutete auf die Zeichnung. «Dann bist du längst wieder in Eriwan. Wie sollen wir dir die Sachen zukommen lassen?»
    «Es gibt einen Weg. Deine Kollegen werden wissen, was zu tun ist.»
    «Was ist das für ein Weg?»
    «Das sage ich dir, wenn wir uns in einer Woche wiedertreffen. Vorausgesetzt, die Antwort ist dann immer noch ja.»
    Anna seufzte. «Also gut.»
    «Wie sollen wir das nächste Treffen vereinbaren?»
    «So wie bisher auch. Ich rufe dich im Labor an, und wir verabreden uns. Du kommst hierher. Der einzige Unterschied wird sein, dass du zwei Stunden vor der vereinbarten Zeit zum Treffpunkt kommst. Wenn ich also sage, wir treffen uns um acht, kommst du um sechs.»
    Er nickte und ließ zum ersten Mal an diesem Abend sein bezauberndes Lächeln sehen. «Du gibst eine ganz reizende Spionin ab, Liebste», sagte er.
    An der Tür verabschiedeten sie sich und küssten einander zunächst ganz freundschaftlich auf beide Wangen. Es ließ sich nicht recht sagen, wer als Erster nachgab, wessen Lippen sich alserste öffneten, wessen Augen sich als erste schlossen. Der Kuss war leidenschaftlich und es fühlte sich an, als wäre alles, was noch zwischen ihnen gestanden hatte, auf einmal verschwunden. Arams Hände lagen auf ihren Brüsten und wanderten dann weiter zu ihren Schenkeln. Und erst da, als ihr Körper sich ihm schon entgegenbog, zum Zerreißen gespannt vor Verlangen – erst da schob sie ihn von sich.
    Aram lächelte ein letztes Mal sein hinreißendes Lächeln, dann drehte er sich um und ging den Flur entlang. Und Anna wusste, dass es ein Fehler gewesen war, so intim mit ihm zu werden. Es war ein grober Verstoß gegen jedes professionelle Verhalten, unverzeihlich und nicht wiedergutzumachen. Doch das war ihr zu diesem Zeitpunkt längst gleichgültig. Wie ihre beiden Kollegen bei Karpetland, so hatte auch sie allen Regeln für angemessenes Verhalten den Rücken gekehrt.
     
    38  Nach seiner Rückkehr nach Istanbul musste Taylor feststellen, dass sich bei der CIA in diesem Sommer alles nur um eines drehte: um die Konferenz der blockfreien Staaten in Havanna. Veranstaltungen wie diese waren im Lauf der Jahre zu einer sinnentleerten Propagandaangelegenheit verkommen, die so gut wie niemanden mehr interessierte – die meisten der daran teilnehmenden Staaten mit eingeschlossen. Aber dieses Jahr war alles anders. Seit der U S-Präsident plötzlich die «Nord-Süd-Problematik» für sich

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