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Midlife-Crisis.
«Wenn Sie einen Mann sehen, der beruflich erfolgreich ist», fuhr Doktor Marcus fort, «dazu noch glücklich verheiratet und auch sonst ohne alle Lebenszweifel, dürfte es Ihnen schwerfallen, ihn anzuwerben. Männer werden zu Verrätern, wenn sie frustriert sind. Ihr Ego ist blockiert. Wenn sie das Gefühl haben, in einem System nicht alles erreicht zu haben, was möglich gewesen wäre, suchen sie sich ein anderes.»
«Und woran merkt man, ob jemand zu diesem Schritt bereit ist?», fragte Anna.
«Sie müssen nach Anzeichen für eine Midlife-Crisis suchen. Eine unglückliche Ehe. Eine Karriere, die nicht so gut vorankommt, wie sie sollte. Wenn Sie jemanden gefunden haben, bei dem diese Faktoren gegeben sind, können Sie ihn sich genaueransehen, herausfinden, wie er funktioniert und was er eigentlich vom Leben erwartet. Und dann versuchen Sie, ihm das zu geben.»
«Aber wie?»
«Auf jede erdenkliche Weise. Die Sowjets haben einmal einen schwedischen Offizier rekrutiert, der sich darüber ärgerte, dass er nicht zum Oberst befördert worden war. Nachdem sie ihn an der Angel hatten, haben sie ihn als Erstes in einer streng geheimen Zeremonie zum KG B-General ernannt und ihm einen Orden verliehen. Man gibt dem Betreffenden das, was gerade nötig ist: Orden, Gedenktafeln, Empfehlungsschreiben – was immer sein Ego braucht. Das Entscheidende ist, in dieser Spiegelbeziehung, die man da aufbaut, ein wichtiges Bedürfnis zu erfüllen, das im normalen Leben des Kandidaten zu kurz kommt.»
«Aber woher weiß man, ob er dann auch ein guter Agent wird?», überlegte Anna laut.
«Das weiß man nie», erwiderte der Psychologe. «Aber man kann plausible Vermutungen anstellen. Beim Verrat geht es immer um die Ablehnung von Autoritäten, es liegt also auf der Hand, dass Sie jemanden brauchen, der dazu bereit ist. Aus einsatztechnischer Perspektive ist es allerdings entscheidend, welche Form diese Ablehnung nimmt.
Manche Menschen suchen die direkte Konfrontation mit Autoritäten. Ein Beispiel für einen solchen Extremfall wäre Solschenizyn, der das herrschende System verabscheut und das aller Welt um jeden Preis mitteilen will. Ein solcher Mensch ist mutig und bewundernswert und hat vielleicht das Zeug zum guten Schriftsteller. Als Geheimagent wäre er aber eine Niete, weil er viel zu auffällig ist.»
Dann kann man es sich also abschminken, Solschenizyn zu rekrutieren, dachte Anna.
«Dann gibt es Menschen, die ebenfalls mit der Autorität brechen wollen, dabei aber nicht ganz so offensiv vorgehen. Ein Mann, der seine Frau verlässt oder seine Stelle aufgibt, weil er unzufrieden ist, gibt einen guten Überläufer ab: Er will einfach raus aus allem. Aus demselben Grund wäre er aber ein lausiger aktiver Agent.»
«Und welche Sorte Mensch gibt dann einen guten aktiven Agenten ab?», fragte Anna.
«Passen Sie auf. Stellen Sie sich zwei Männer vor, die beide unglücklich verheiratet sind. Der eine streitet ständig lautstark mit seiner Frau. Der andere wirkt nach außen hin völlig ruhig, er erzählt niemandem von seinen Problemen, hat aber heimlich eine Geliebte. Dieser Mann ist Ihr idealer Rekrutierungskandidat, denn er hat bewiesen, dass er mit Widersprüchen leben und seine Loyalität nach Bedarf verteilen kann.»
«Das hört sich aber nach einem sehr unangenehmen Menschen an.»
«Mag sein, aber für unsere Branche ist er genau der Richtige.»
13 Als sie Ali Ascari ins Restaurant kommen sah, dachte Anna als Erstes: Was für ein hässlicher Zwerg! Er war klein und untersetzt, hatte eine große Nase und Glupschaugen, die ständig in Bewegung waren. Und er war unglaublich behaart, vom struppigen schwarzen Bart im Gesicht bis zum dichten Pelz auf den Handrücken. Anna empfand es fast als Erleichterung, dass er so hässlich war, denn insgeheim hatte sie befürchtet, es mit einem charmanten Omar-Sharif-Verschnitt mit Schlafzimmerblick zu tun zu bekommen.
Ascari näherte sich dem ruhigen Tisch in der Ecke, wo Anna und SDFIBBER saßen. Er begrüßte SDFIBBER überschwänglich, küsste ihn auf beide Wangen und wandte sich dann Anna zu. Dabei wackelte er leicht mit dem Kopf und schüttelte seine nicht vorhandenen Schwanzfedern wie ein paarungswilliger Täuberich. SDFIBBER stellte Anna vor, unter falschem Namen, wie abgesprochen.
«Das ist Allison James, die Bekannte, von der ich dir am Telefon erzählt habe. Sie ist im Bankgeschäft.»
«Guten Tag, Miss», sagte Ascari.
«Freut mich, Sie
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