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besser.»
«Gut, dann kläre ich die Sache mit der Zentrale und melde mich anschließend wieder bei Ihnen. Die dürften aber eigentlich nichts dagegen haben. Zu Hause sind sie schließlich ganz wild auf den Iran, seit da alles den Bach runtergeht. Die genehmigen uns alles.»
Anna hörte ihm kaum noch zu. Sie würde einen eigenen Fall bekommen. Endlich durfte sie auch bei den Großen mitspielen.
12 In der Nacht, als Anna vor lauter Aufregung über den bevorstehenden Auftrag nicht schlafen konnte, musste sie an Doktor Marcus denken, den CI A-Psychologen , der sie zwei Wochen lang in der «Psychologie der Agentenrekrutierung» unterrichtet hatte. Wie alle anderen hatte auch dieser Kurs in einem schäbigen Motelzimmer in Arlington stattgefunden. Und wie Psychologen das so an sich haben, selbst wenn man sich auf einer Party mit ihnen unterhält, hatte Doktor Marcus Anna zahllose Fragen gestellt, mit ernster Miene genickt, wenn sie unsicher darauf zu antworten versuchte, und hin und wieder «So, so» gesagt. Anfangs hatte Anna gar nicht recht gewusst, ob Doktor Marcus sie nun ausbilden oder therapieren sollte – bis ihr klar geworden war, dass beides zutraf.
Bei ihrer ersten Sitzung mit Doktor Marcus war sie erstaunt gewesen, dass jemand wie er überhaupt bei der CIA arbeitete. Er sah aus wie ein alt gewordener Student, groß und nachlässig gekleidet, mit schütterem, strähnigem rotem Haar, dunklen Augenringen und dem Gesicht eines Menschen, der über Jahre hinweg zu viel Koffein und zu wenig Schlaf abbekommen hat. Im Grunde war er die Illustration seines eigenen Rekrutierungskonzepts:ein Mann, der im Leben nicht alles erreicht hat, was er hätte erreichen können, und dadurch für solche Avancen anfällig ist. Dabei war er keineswegs anfällig. Im Gegenteil: Er stellte ja die Fragen.
Die ersten Sitzungen waren tatsächlich wie Therapiestunden gewesen. Es gehe darum, hatte Doktor Marcus Anna erklärt, einfach zu reden und dabei alle persönlichen Informationen aufzudecken, die bei der ersten Befragung nicht zur Sprache gekommen seien. Anna merkte schnell, dass Doktor Marcus die Angewohnheit hatte, mitten im Gespräch plötzlich für längere Zeit zu schweigen, und sie dann mit allen möglichen Informationen über sich herausplatzte, um die Gesprächspausen zu füllen. Sie wollte sich kooperativ zeigen. Wenn Doktor Marcus ihr eine harmlose Frage zu ihrem Studium stellte, antwortete Anna beispielsweise: «Mein Vater wollte ja eigentlich nicht, dass ich studiere.»
«So, so», kommentierte Doktor Marcus in seinem neutralen, ausdruckslosen Ton. «Und warum nicht?»
«Ich glaube, er wollte, dass ich in den diplomatischen Dienst gehe.»
«So, so.»
«An die CIA hat er dabei aber sicher nicht gedacht.»
«Und warum nicht?»
«Das weiß ich nicht. Vielleicht hatte er Angst davor. Beamte im auswärtigen Dienst mögen die CIA in der Regel nicht besonders.»
«Und macht die Tatsache, dass Ihr Vater nicht damit einverstanden war, die CIA für Sie attraktiver?»
An dieser Stelle hätte Anna Doktor Marcus am liebsten eine Ohrfeige gegeben. Doch er schien so sehr nach ihren Worten zu verlangen und wirkte dabei so harmlos, dass sie ihm schon baldein weiteres Häppchen hinwarf. Sie erzählte von ihrem nichtsnutzigen Bruder in New Mexico, von ihrem Exfreund in Cambridge und von ihrer ebenso kurzen wie lächerlichen Kiff-Erfahrung an der Uni. Hauptsache, der arme Doktor Marcus schaute nicht so verloren drein. Annas Selbstverständnis als Frau schien ihn ganz besonders zu interessieren. «Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?», fragte er sie in der zweiten Sitzung.
«Ja, natürlich», antwortete Anna.
«Wieso ‹natürlich›?»
«Weil das für eine Frau meines Alters einfach zum Frausein dazugehört.»
«So, so. Und warum?»
«Weil … Das ist einfach so. Wenn man in Amerika lebt und an sein Land glaubt, ist man Amerikaner. Wenn man eine Frau ist und an sich selbst glaubt, ist man Feministin. Das ist nichts Besonderes.»
«Und warum nicht?»
«Okay, zugegeben, für manche Leute ist es schon was Besonderes.»
«Aber nicht für Sie.»
«Doch, für mich auch.»
«Und was bedeutet es für Sie genau, Feministin zu sein?»
«Selbständigkeit vor allem. Man trifft seine eigenen Entscheidungen. Man tut nicht immer nur, was die Männer einem sagen.»
«Und was ist, wenn die Männer einem etwas Vernünftiges sagen?»
«Dann macht man das natürlich. Jetzt übertreiben Sie mal nicht, Doktor
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