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Informationen erhalten? Da schreibe ich London und … welches Datum haben wir heute?»
«Den 25. Februar», sagte Anna.
Howard notierte Ort und Datum. «So», fuhr er fort. «Jetzt brauchen wir noch die Zusatzangaben.»
«Was heißt das?»
«Eine kurze Charakterisierung von Ascari für den Bericht. Gleich hier unter ‹Informant›.»
«Ich weiß nicht recht.» Anna rief sich die gerade erfolgte Bewertung in Erinnerung. «Vermutlich sollten wir ihn als iranischen Informanten mit mutmaßlichen Verbindungen zu Khomeinis Zirkel bezeichnen, dessen Glaubwürdigkeit noch nicht verifiziert werden konnte.»
«Wunderbar.» Howard notierte ihre Formulierung wortwörtlich. «Und jetzt zu den schmutzigen Details.»
«Da gibt es auch nicht viel zu sagen. Der Informant gab Hinweiseauf eine Verschwörung einiger Iraner im Khomeini-Dunstkreis, die angeblich Pläne hegen, während des Wahlkampfs 1980 den amtierenden Präsidenten und seine Mitarbeiter sowie die Präsidentschaftskandidaten zu ermorden. Der Anschlag soll angeblich während einer Wahlkampfveranstaltung erfolgen. Das ist alles.»
«Das genügt voll und ganz, Kindchen», sagte Howard. «Wenn das die zu Hause nicht aus dem Tiefschlaf reißt, fresse ich einen Besen.»
«Was sagen Sie dazu, dass Ascari in der Sowjetunion geboren ist? Ist das ein Problem?»
«Für mich nicht. Aserbaidschaner, Iraner – wo ist da der Unterschied? Aber erwähnen sollten wir es schon. Da haben die Leute vom Innendienst wenigstens auch mal was zu tun. Und wenn sich wer daran stört, werden sie sich schon melden.»
Ascari hatte tatsächlich den richtigen Hebel betätigt. Fast schien es, als wüsste er ganz genau, wie die amerikanische Regierung funktionierte – als wäre ihm klar, dass man ihr nur eine Morddrohung gegen den Präsidenten oder die Präsidentschaftskandidaten zuzuspielen brauchte, um sicherzugehen, dass dem Hinweis ein ganz anderer Status zukam als normalen Informationen und er nicht mehr den üblichen Bewertungsstandards unterlag. Spätestens seit der Ermordung Kennedys 1963 wollte keine Behörde mehr eine Morddrohung in den Akten haben, auf die nicht entsprechend reagiert worden war, weil man sie für zu abwegig hielt.
Die Reaktion aus der Zentrale kam postwendend. Sofort handeln, London. Höchste Priorität, mit allen Schikanen. Man wollte so schnell wie möglich weitere Informationen von Ascari und autorisierte eine Weiterentwicklung des Kontakts mit allerVehemenz, inklusive einer einmaligen Prämie von eintausend Dollar für die bisher gelieferten Informationen. Und man verpasste Ascari ein Kryptonym: SDROTTEN – der perfekte Name für diesen korrupten, verdorbenen Iraner, obwohl man ihn in der Zentrale völlig willkürlich aus dem Wörterbuch geklaubt hatte. Weiterhin wurde angeordnet, dass die zuständige Agentin, Amy L. Gunderson, nach Istanbul reisen und sich dabei weiterhin als Mittelsfrau der Botschaft ausgeben solle.
Und so wurde Anna über Nacht zum Superstar. Als sie am Morgen ins Büro kam, empfing der immer fröhliche Dennis sie mit einem dicken Kuss. Am Nachmittag brachte ein Bote ein Helden-Telegramm vom C/NA, dem Chef der Nahostabteilung: «Glückwunsch an Gunderson für professionelle Handhabung komplexen Falls. Thematik interessant und hochaktuell. Wurde in Morgenbericht an Direktor und Rundschreiben an NFA C-Direktion aufgenommen.» Das Schönste aber war eine persönliche Botschaft von Margaret Houghton, die ihr über den Londoner Stützpunkt zugestellt wurde. Anna hatte keine Ahnung, wie Margaret überhaupt von der Sache erfahren hatte, doch ihre Botschaft lautete schlicht: «Gut gemacht!» Das alles machte es Anna allerdings praktisch unmöglich, ihren ursprünglichen Plan in die Tat umzusetzen und Ascari einfach fallenzulassen.
Am nächsten Tag traf bei Halcyon ein Päckchen für Anna Barnes ein. Es wurde von einem Boten zugestellt, kam jedoch ohne Absender oder sonstige Anhaltspunkte. Anna überlegte, was wohl darin sein konnte. Weitere Unterlagen, um ihre Tarnung zu stützen? Versicherungsformulare von der Personalabteilung? Ein neues Agentenhandbuch? Neugierig öffnete sie das Päckchen und fand zu ihrem Erstaunen ein altes, eselsohriges Buchdarin, das offensichtlich bereits durch zahllose Hände gegangen war. Sie schlug es auf. Es war in kyrillischer Schrift gesetzt und in einer Turksprache verfasst; doch erst als sie die Publikationsdaten auf der Titelseite entdeckte, begriff Anna, worum es sich handelte. Dort stand:
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