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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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den Boden. Der Schlag hatte ihn benommen gemacht. Und dann tat Anna etwas, was ihre Kollegen später für leicht übertrieben halten sollten: Sie trat Ascari in den fetten Bauch, und als er aufstöhnte, trat sie gleich noch einmal zu.
    Als er wehrlos am Boden lag, handelte sie rasch. Sie sammelte alle Geldscheine ein, die sie auf die Schnelle zu fassen bekam, stopfte sie in den Aktenkoffer, hob ihre Handtasche auf und lief zur Tür. Als sie die Kette gelöst hatte, drehte sie sich noch einmal um und warf einen letzten Blick auf Ascari. Er rührte sich nicht.
    «Machen Sie so was nie wieder!», sagte Anna zu ihm.
    Dann warf sie die Tür hinter sich zu und rannte zum Aufzug. Ascari schien ihr nicht zu folgen. Hoffentlich ist er tot, dachte Anna, während sie nach unten in die Hotelhalle fuhr. Mit schnellen Schritten ging sie aus der Tür und die lange Einfahrt vor dem Hotel entlang. Immer noch keine Spur von Ascari. Sie lief ein Stück die Cumhuriyet-Allee hinunter bis zum nächsten größeren Hotel und blieb dort stehen.
    Erst schüttelte der Portier abwehrend den Kopf und wollte sie nicht einlassen. Anna war sich durchaus im Klaren, was für ein misstrauenerweckendes Bild sie abgeben musste: schweißgebadet, mit halbzerrissenem Kleid und obendrein noch nach Whiskey stinkend, weil sich der Inhalt der Flasche über sieergossen hatte. Doch als sie ihn auf Englisch ansprach, hatte der Portier schließlich ein Einsehen. Er zeigte ihr das Telefon in der Hotelhalle, und sie wählte die Privatnummer des Bürochefs vom CI A-Stützpunkt in Istanbul, die man ihr gegeben hatte.
    Es war fast zwei Uhr, und Alan Taylor klang entsprechend gereizt, als er den Hörer abnahm. Im Hintergrund hörte man eine Frauenstimme, die etwas auf Türkisch sagte.
    «Hier ist Vera.» Anna verwendete den Codenamen, den sie vor ihrem Aufbruch aus London vereinbart hatten. Taylor sollte darauf erwidern: «Willkommen in Istanbul», um dann, gleichfalls in Code, eine Uhrzeit für ein Treffen mit ihr zu vereinbaren.
    «Wer?» Taylor durchforstete bereits seine innere Kartei aus echten Namen, Decknamen, Kryptonymen und Codenamen.
    «Vera», wiederholte Anna. «Hier ist Vera.»
    «Muss ich Sie kennen?», fragte Taylor.
    «Kann man so sagen!» Langsam wurde sie wütend. «Ich bin auf Besuch hier.»
    «Okay», sagte Taylor. Er erinnerte sich dunkel an irgendeine Mitteilung, derzufolge jemand aus London nach Istanbul kommen würde. «Wenn Sie meinen.»
    «Und ich rufe an», fuhr Anna fort, «weil ich heute Nacht einigen Ärger hatte.»
    Jetzt hatte sie Taylors ganze Aufmerksamkeit. «Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung», sagte er. «Wo sind Sie? Ich komme Sie abholen.»
    «Nein», sagte Anna. Das war viel zu unsicher. Außerdem würde sie sich damit in die schützenden Arme eines Mannes flüchten, was sie sich im Augenblick sehnlichst wünschte – und genau deshalb vermeiden wollte.
    «Sind Sie ganz sicher?», fragte Taylor.
    «Es kann noch warten. Treffen wir uns um zwei.»
    «Wie bitte?», fragte Taylor. Ihm war klar, dass sie einen Code verwendete, er hatte allerdings vergessen, was dieser spezielle Code bedeutete. Es gab schließlich Dutzende davon, die im Umgang mit verschiedenen Agenten, NOCs und Kontaktleuten zum Einsatz kamen. In diesem Fall hätte «um eins» sofort bedeutet, «um zwei» am nächsten Tag.
    «Treffen wir uns um zwei», wiederholte Anna.
    «Ach, scheiß drauf», sagte Taylor. «Treffen wir uns einfach morgen früh.»
    «Gut», erwiderte Anna. «Wo?» Wenn er schon den Code für den Zeitpunkt eines Notfalltreffens vergessen hatte, würde er sich wohl kaum an den für den Ort erinnern.
    «Bei mir im Büro», sagte Taylor.
    Anna legte auf. Es zeugte nicht gerade von Professionalität, sie ins Konsulat zu bestellen, aber das war auch schon egal. Sie war völlig erschöpft. In ihr Hotel zurückzukehren war sinnlos, weil Ascari sie dort vielleicht doch noch aufspüren würde, und so blieb sie der Einfachheit halber in dem Hotel, in das sie gerade hineingestolpert war. Man berechnete ihr natürlich viel zu viel für das Zimmer – was konnte sie schon erwarten, wenn sie als Frau mitten in der Nacht allein hier auftauchte? Doch Anna war auch das egal. Sie fühlte sich fast unnatürlich ruhig. Ihr iranischer Agent hatte gerade versucht, sie zu vergewaltigen, sie hatte ihn bewusstlos geschlagen und ihn womöglich tot in seinem Hotelzimmer liegen lassen – eigentlich hätte sie Rotz und Wasser heulen oder zumindest ein bisschen schluchzen

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