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Das Netzwerk

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Titel: Das Netzwerk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ignatius
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Visa-Kandidaten gestrichen. Taylor hatte zwar von der ganzen Sache nichts gewusst, machte sich im Zuge der Affäre dennoch bei den Erbsenzählern zu Hause unbeliebt: In einem unbedachten Augenblick hatte er einem der Ermittler gesagt, dass der verurteilte Iraner doch nur denselben Unternehmergeist gezeigt habe, mit dem man an der Wall Street Karriere machen könne.
    Taylor wurstelte weiter. Washington interessierte sich nach wie vor am meisten für die Bulgaren und ihren vermeintlichen Waffenschmuggel in die Türkei, für den Taylor bislang so gut wie keine Beweise gefunden hatte. Leidige Tatsache aber war, dass aus allen Richtungen Waffen in die Türkei strömten – aus dem Libanon, aus Syrien, dem Iran, aus Griechenland und, ja, auch aus Bulgarien   –, aber das eigentliche Problem war nicht die Lieferung der Waffen, sondern dass eine Nachfrage nach ihnen bestand. Dennoch drängte die Zentrale alle paar Wochen erneut auf Beweise für einen Waffenhandel der Bulgaren. Gib dem Affen Zucker, dachte sich Taylor. Er fragte regelmäßig seine Quellen zu dem Thema ab und produzierte damit einen stetigen Fluss an nutzlosen Informationen.
    Obwohl Taylor die Zustände in der Türkei mit Sorge betrachtete, konnte er nichts tun, um sie zu ändern. Schon kurz nach seinerAnkunft in Istanbul war ihm klar geworden, dass in diesem Land vieles anders war als in Amerika. Er erinnerte sich noch gut: Damals war er am unteren Ende der Istiklal-Caddesi aus der
tünel
– der Istanbuler Metro – hochgekommen und hatte auf der anderen Straßenseite eine Gruppe von Jugendlichen bemerkt.
    «Linke», dachte er bei sich, ohne groß nachzudenken. Die jungen Leute trugen Parkas, Jeans und Militärstiefel. Das war die Kluft der Linken. Rechte kleideten sich in der Türkei anders. Sie trugen lange, wollene Mäntel und Sonnenbrillen. Auch die Schnurrbärte der jungen Männer wiesen darauf hin, dass sie Linke waren. Natürlich hatten alle Türken einen Oberlippenbart, aber die Linken trugen ihn so lang und buschig, dass die Haare manchmal über den Mund hingen, während die Rechten ihn zu einem bleistiftdünnen, exakt getrimmten Bärtchen zusammenstutzten. Und in diesem Augenblick, als ihm schlagartig bewusst wurde, dass in der Türkei sogar die Bartmode eine bestimmte Bedeutung hatte, hatte Taylor beschlossen, dass er einen Agenten in der Studentenbewegung brauchte. Nur zum Sammeln von Informationen, versicherte er Timmons. Nicht für verdeckte Aktionen.
    Der Agent, den er nach einigem Suchen fand, war ein nervöser junger Politikwissenschaftsdozent, der den Decknamen EXCHASE/​1 bekam, die «1» in der Hoffnung, dass er losziehen und seine eigene Gruppe von Subagenten anwerben würde, die dann die Decknamen EXCHASE/​2, EXCHASE/​3 und so weiter bekommen hätten. Leider war der Politologe kein sonderlich guter Agent. Seine «Informationen» gingen kaum über das hinaus, was in den Zeitungen stand, und sein Hauptinteresse galt der Behauptung seiner eigenen Position an der Universität. Taylor störte das nicht. Trotz all seiner Schwachpunkte wusste EXCHASE/​1 häufig mehr als die türkische Polizei. Hörte manirgendwo in Istanbul eine Explosion und fragte daraufhin im Polizeipräsidium nach, erhielt man anstatt einer Antwort zumeist nur die lapidare Feststellung: «Keine Sorge, es sind keine Amerikaner betroffen.» Und damit musste man sich zufriedengeben. EXCHASE konnte in einem solchen Fall wenigstens berichten, was darüber getratscht wurde.
    EXCHASEs richtiger Name war Bülent. Normalerweise traf sich Taylor einmal im Monat in einem sicheren Haus in Kadiköy mit ihm. Taylors Stellvertreter, der sich um solche administrativen Dinge wie das Anmieten sicherer Häuser kümmerte, hatte ein Faible für den asiatischen Teil Istanbuls. Vielleicht glaubte er, es sei dort sicherer, jemanden zu treffen, als auf der europäischen Seite, wo sich auch das Konsulat befand. In Taylors Augen war das ziemlich fragwürdig, denn wenn mitten unter der Woche in Kadiköy ein Amerikaner herumlief, war er fast zwangsläufig Drogendealer oder Spion. Aber egal. Wenigstens waren die Mieten auf der anderen Seite des Bosporus relativ niedrig.
     
    Taylor nahm am Kai nahe der Galatabrücke die Fähre nach Üsküdar, und als auf der Überfahrt die Sonne für einen Augenblick durch den spätwinterlichen, rauch- und abgasgeschwängerten Dunst brach, wusste er auf einmal wieder, weshalb er Istanbul trotz all seiner himmelschreienden Mängel so liebenswert fand. Diese

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