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in die Chefetage gelangte, aber bei näherem Nachdenken fand er die Idee doch nicht mehr so gut. Hinkle würde seine Nachricht vermutlich ignorieren oder – noch schlimmer – sie an einen der Geheimdienstausschüsse im Kongress weiterleiten. Als Nächstes erwog er, den für verdeckte Operationen zuständigen stellvertretendenDirektor zu informieren, aber auch das wäre ziemlich dumm gewesen. Es würde nur so aussehen, als wollte er sich mit den hohen Tieren anlegen. Und Taylor hatte es sich schon vor langer Zeit zur Regel gemacht, niemals einen Streit anzufangen, solange er nicht genau wusste, wer sein Gegner war.
Eigentlich, dachte er sich, ging es ja nur darum, die Bürohengste in Langley wissen zu lassen, dass er ihrem Spielchen in Istanbul auf die Spur gekommen war und ihnen höflich zu verstehen zu geben, dass sie ihn mal könnten. Also setzte er eine Mitteilung der allerharmlosesten Sorte auf: mit der schlichten Bitte um Hintergrundinformationen über einen gewissen kanadischen Filmemacher namens Jack Rawls. Besonders interessiere ihn dabei, ob besagter Rawls im Auftrag der CIA tätig sei, damit Taylor ihn gegebenenfalls bei seiner Arbeit in Istanbul unterstützen könne. Als die Nachricht verschickt war, wandte er sich wieder seinem Istanbuler Alltagsgeschäft zu und wartete auf die Antwort.
18 Für einen CI A-Agenten brachte das Jahr 1979 die zwangsläufige Erkenntnis mit sich, dass der amerikanische Einfluss in aller Welt zu bröckeln begann. Manche von ihnen begriffen sogar, warum das so gekommen war, konnten aber nichts dagegen tun. Sie fühlten sich so hilflos wie ein Feuerwehrmann, der vor einem brennenden Hochhaus steht und weiß, dass seine Schläuche und Leitern nicht bis in die oberen Stockwerke reichen. Und Anfang 1979 gab es in der Welt gewaltige Brandherde. Der bedrohlichste davon war der Iran, dessen Feuer sich immer weiter ausbreitete, und die CIA schien weder willens noch in der Lage zu sein, die Flammen zu löschen.
Dabei wurden alle paar Wochen neue Pläne ersonnen. Anfang März befand irgendjemand in der Zentrale, man solle verstärkt kurdische Agenten rekrutieren, um Khomeinis Iran mit einem Aufstand der kurdischen Minderheit zu schwächen. Eine exzellente Idee! Also ergingen entsprechende Instruktionen an die zuständigen CI A-Büros , und wenige Tage später traf sich Taylor mit einem alten Knacker aus Diyarbakir, der ihm von der CIA in Los Angeles – offenbar war das südliche Kalifornien das Zentrum der kurdischen Diaspora in Amerika – als möglicher Anführer einer kurdischen Exilarmee empfohlen worden war. Der Mann hatte zwar kaum mehr Zähne im Mund, aber seinen Geschäftssinn keineswegs eingebüßt. Als Bedingung für seine Teilnahme am kurdischen Befreiungskrieg forderte er eine hohe Geldsumme, die ihm auf ein Schweizer Nummernkonto überwiesen werden sollte. Taylor gab diese Forderung ordnungsgemäß an die Zentrale weiter, mit einer Kopie an die Station in Los Angeles.
Am meisten Kopfschmerzen bereitete Taylor die Rekrutierung iranischer Agenten. Die Zentrale gab die Weisung heraus, dass Visa in die USA nur an Iraner zu vergeben seien, die einem nützliche Informationen beschaffen konnten. Inzwischen waren Tausende iranischer Flüchtlinge in Istanbul eingetroffen, die alle nach Amerika wollten, um dort einen Schönheitssalon zu eröffnen, einen Seven-Eleven-Laden zu übernehmen oder in den Großstädten Taxi zu fahren. Und jeder von ihnen war bereit, der CIA für eines der heißbegehrten Visa die absurdesten Geschichten aufzutischen. Weil Taylor diese aus der Not geborenen Lügen schon bald nicht mehr hören konnte, überließ er die Gespräche mit den Exiliranern zum größten Teil seiner Sekretärin. Vielleicht wäre es fast vernünftiger gewesen, fand Taylor, nur den Iranern ein Visum zu erteilen, die den Vereinigten Staaten keine Informationen zu liefern hatten.
Das Problem spitzte sich zu, als man Mitte März dahinterkam, dass ein in Istanbul für die Betreuung der Flüchtlinge rekrutierter Iraner von seinen Landsleuten bis zu zehntausend Dollar nahm, damit er sie bei der Visa-Erteilung bevorzugte. Washington entsandte eine Untersuchungskommission, die für einen Riesenwirbel sorgte und alle möglichen Leute in die Mangel nahm. Bei so etwas verstanden die Bürokraten zu Hause keinen Spaß. Der Iraner kam schließlich vor ein türkisches Gericht, und die armen Flüchtlinge, die ihm ihr letztes Geld gegeben hatten, wurden von der Liste der möglichen
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