Das neue Buch Genesis
Tag und Nacht. Dem Einzelnen wurde vertraut, der Neugier wurden keine Grenzen gesetzt. Anax war das beste Beispiel dafür. Hatte man ihr nicht unbegrenzten Zugang zu Adam Fordes Akten gewährt, auch als sich herausstellte, dass ihre Entdeckungen die herkömmliche Lehre infrage stellten? Die Furcht war nicht verschwunden, sie würde niemals verschwinden, doch es war die beachtliche Leistung der Akademie, der Furcht die Chance entgegenzusetzen.
Warum wollte sie in die Akademie aufgenommen werden? Weil die Akademie das erreicht hatte, was keiner anderen Gruppe bisher gelungen war. Anax hatte die Geschichte eingehend studiert und gesehen, dass man dies mit Fug und Recht behaupten konnte. Die Akademie hatte die Evolution zurückgedreht. Die Akademie hatte die Idee gezähmt.
Gewiss wäre es eine große Ehre, auserkoren zu werden, aber Anax wusste, dass es ihr nicht um die Ehre ging. Der Akademie beizutreten, hieß, der Gesellschaft zu dienen. Der Gesellschaft, die sie liebte. Der besten Gesellschaft, die der Planet je gesehen hatte. Der Akademie beizutreten, hieß, Verantwortung für den Frieden zu übernehmen, der sich über die Unterkünfte gelegt hatte, und für das Lachen auf den Straßen. Die Akademie legte das Ausbildungsprogramm fest. Die Akademie kontrollierte die technologische Entwicklung. Die Akademie brütete über den Einzelheiten der Vergangenheit und lernte aus jedem Fortschritt und jedem Fehler. Die Akademie war der Idee entgegengetreten und hatte mit ihr einen dauerhaften Frieden geschlossen.
Anax formulierte die Antwort und spürte, wie stolz sie auf ihr Land war. Sie blickte auf die Türen und wünschte, sie würden sich wieder öffnen. >Stellt mir eure Fragen<, hätte sie am liebsten gerufen. >Ich bin bereit.<
Sie ließen sie noch weitere zwanzig Minuten warten. Als sie zurückkehrte, war das Zimmer verdunkelt, als sollte sie noch ein Hologramm zeigen, doch das konnte nicht sein, denn sie hatten schon alles gesehen, was sie vorbereitet hatte.
PRÜFER: Anaximander, wir haben Sie gebeten, uns zu erklären, warum Sie in die Akademie aufgenommen werden möchten. Können Sie diese Frage beantworten?
ANAXIMANDER: Ja. Aber damit Sie diese auch richtig verstehen -
Der Prüfer hob die Hand, um ihre Antwort zu unterbrechen.
PRÜFER: Noch nicht, Anaximander. Zuerst wollen wir uns noch über etwas anderes unterhalten.
Anax sah die Prüfer an und fragte sich einmal mehr, warum der Raum plötzlich dunkler war als zuvor.
ANAXIMANDER: Ich fürchte, ich verstehe nicht recht.
PRÜFER: Adams Geschichte ist noch nicht zu Ende.
ANAXIMANDER: Möchten Sie, dass ich Ihnen meine Interpretation des Finalen Dilemmas darlege? Wie Sie wissen, habe ich für diese Episode kein Hologramm vorbereitet, aber ich kann es Ihnen gerne genau schildern und seine Folgen aufzeigen.
PRÜFER: Wie viel Zeit liegt zwischen der letzten Szene, die Sie uns gezeigt haben, und dem Finalen Dilemma?
ANAXIMANDER: Drei Monate und ein Tag.
PRÜFER: Und Sie können uns nichts anbieten, was während dieser Zeit passiert ist?
ANAXIMANDER: Nur Spekulationen. Sämtliche Aufzeichnungen, die möglicherweise von dieser Zeit existierten, sind bekanntermaßen verloren gegangen.
PRÜFER: Kommt es Ihnen nicht merkwürdig vor, dass nicht ein einziges Detail gefunden wurde?
ANAXIMANDER: Lücken dieser Art sind in unserer Geschichte nichts Ungewöhnliches, insbesondere in der Zeit unmittelbar vor Ausbruch des Großen Krieges. Viele Historiker gehen davon aus, dass die Republik willentlich versucht hat, uns ihre Aufzeichnungen vorzuenthalten. Als sich der Ausgang abzeichnete, gab es zahlreiche Versuche, viele wichtige Dokumente zu zerstören.
PRÜFER: Und diese Erklärung akzeptieren Sie?
ANAXIMANDER: Ich habe über keine andere nachgedacht.
PRÜFER: Warum nicht?
ANAXIMANDER: Vermutlich bin ich dem Beispiel meiner Vorgänger gefolgt.
PRÜFER: Würde es Sie überraschen, wenn Sie entdeckten, dass es falsch war, dies zu tun?
Anax blickte zu den drei Prüfern auf. Ihre Mienen waren in dem düsteren Raum starr und bedrohlich geworden. »Es ist möglich zu wissen, ohne zu verstehen«, hatte ihr Perikles einmal gesagt. »Wissen beginnt als Gefühl. Verstehen ist der Prozess des Abtragens. Als würde man von dem Gefühl einen Weg ans Tageslicht bahnen.« Das also hatte er damit gemeint. Anax wusste, dass sich etwas verändert hatte. Außerhalb ihres Sichtfeldes formte sich die Zukunft. Bildete sie sich das nur ein, war es nur ein dummes, ängstliches
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